Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Hanseatischen Oberlandesgericht sowie in nebenberuflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten extrem eingespannt. Erst viel später sagte Andrea zu mir: »Du hast mir damals so gefehlt.« Das hat mich tief getroffen. Ich hatte es in dieser Schärfe nicht bemerkt. Das mache ich mir bis heute zum Vorwurf. Eine Mutter muss so etwas merken und etwas dagegen tun. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, aber ich hätte einen Weg suchen müssen und ihn gefunden. Ich bedaure sehr, dass ich von Andreas Problem erst zu spät erfuhr. Das gilt auch für meine Versäumnisse und Fehler bei den beiden großen Kindern. Jetzt kann ich es nicht mehr wiedergutmachen. Ich kann die Kinder und mich selbst nur um Nachsicht bitten mit dem alten Erfahrungssatz: Der Mensch macht Fehler. Es geht leider nicht ohne.
In Bezug auf die Rolle der Mutter in Familie und Gesellschaft gibt es derzeit eine merkwürdige Entwicklung ; eine Rückwärtsbewegung, zu der sich bemerkenswert viele Frauen in Großstädten bekennen – an Orten also, an denen bekanntlich jede zweite Ehe scheitert. Insbesondere junge Frauen, die wohlhabenden, gebildeten Kreisen entstammen, verzichten dort bewusst auf Qualifikation und Berufserfahrung. Sie sagen: »In der Rolle als Mutter und Hausfrau kann ich mich am besten verwirklichen.« Wenn ich so etwas höre, ringe ich um Fassung.
Nachbarinnen, die morgens in eleganter Kleidung das Haus verlassen, der Kinderfrau die Klinke in die Hand drücken und Richtung Arbeit verschwinden, werden kritisch beäugt, ihre Kinder werden »bemitleidet«. Viel besser sei es für die Kinder, wenn die Mutter gemütlich mit ihnen frühstücke, sich dann mit ihnen aufs Sofa kuschle und eine Geschichte vorlese. Später kleide solch eine »gute Mutter« sich mit bequemer Jeans, T-Shirt und Turnschuhen, um die Kinder auf den Spielplatz zu begleiten, die Einkäufe zu erledigen, zu kochen, zu backen, die Wohnung zu putzen und mit Selbstgebasteltem zu dekorieren. Für das Einkommen sorge selbstverständlich der Ehemann.
Fatalerweise sind viele dieser Frauen überzeugt, dass sie es besser machen als die berufstätigen Mütter. Zum Glück gehört meine Tochter Andrea nicht zu jenen Rückschrittlichen, obwohl ich bei ihr manches falsch gemacht habe. In dem Moment, wo ich dies aufschreibe, hat sie eine kleine Tochter, ihr zweites Kind. Sie ist zu Hause und bezieht Elterngeld, wird danach aber selbstverständlich wieder arbeiten, wie sie es auch schon nach der Geburt ihres ersten Kindes getan hat.
Einer der Beweggründe für die »Rolle rückwärts« scheint mir eine bisweilen anzutreffende allzu hohe Anspruchshaltung zu sein. Auch die Medien tragen zu dem angeblichen Idealbild der modernen Powerfrau bei: rasante Karriere, mächtige Erfolge, ein hohes Gehalt ; eine harmonische Ehe mit einem phantastischen Mann ; mehrere Kinder, die Bestleistungen in Schule und Sport erbringen ; ein stets perfektes Äußeres – perfekt frisiert, gekleidet, geschminkt, durchtrainiert ; ein großes, gepflegtes, schick eingerichtetes Haus ; regelmäßige Fernreisen im Urlaub, interessante Hobbys, ein großer Freundeskreis … Das sind Träume aus einer Phantasiewelt, die keine Frau realisieren kann. Aber darf deshalb die Konsequenz sein, außer Kindern und einem zahlenden Gatten nichts weiter erreichen zu wollen?
Als Rechtsanwältin vertrete ich selbstverständlich auch Männer in Scheidungs– und Sorgerechtsangelegenheiten. Immer wieder beschreiben Ehemänner von Hausfrauenmüttern, dass sie sich im Familienleben überflüssig fühlen. Sie sagen: »Ich darf nur das Geld ranschaffen, sonst nichts.« In solchen Ehen bedingen sich die Probleme der Männer und der Frauen gegenseitig. Den Hausfrauenmüttern fehlt die Existenzgrundlage, den männlichen Alleinverdienern fehlen Zuständigkeit und Akzeptanz bei der Erfüllung von Familienaufgaben. Beide leiden unter Defiziten.
Mit Freude Frau sein
Es war Mitte der sechziger Jahre – Rolf war bereits geboren –, als mich eine Kollegin am Landgericht ansprach: »Frau Peschel, ich verabschiede mich, von nun an werde ich zu Hause bei den Kindern sein.« Frau H. war eine sehr gute, angesehene Richterin. Wie ich war auch sie mit einem Richter verheiratet. Nun hatten die beiden ihr drittes Kind bekommen. Nach meiner Erinnerung brauchte es aufgrund einer Behinderung viel Zuwendung. »Ich möchte mich ein paar Jahre ganztags um das Kind kümmern«, erklärte mir die Kollegin, was ich sofort verstand. Was mir aber nicht einleuchten
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