Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
den Geschichten da unten. Na ja, Sie als Frau wissen ja vielleicht, was ich meine.« Er bellte ein heiseres Lachen.
Franziska wusste zwar nicht genau, was er damit meinte, nickte aber nachdenklich. Hauptsache, er ersparte ihr Details.
»Nach Bad Kissingen habe ich sie geschickt. Weil da ja auch immer die Sisi war, die Kaiserin von Österreich-Ungarn. Für meine Elise war mir nichts zu teuer. Ich hab sie immer schon auf Händen getragen. Und weil es mitten im Winter war, durfte sie jeden Tag zwanzig Mark in der Spielbank verspielen – damit sie sich nicht langweilt, denn zum Spazierengehen war es zu kalt. Damals, vor siebenundzwanzig Jahren, waren zwanzig Mark noch echt viel Geld. Die Kur hat ihr gutgetan, richtig aufgeblüht ist meine Elise, und wissen Sie, kaum war sie zurück, da trug sie endlich unseren ersehnten Buben unter dem Herzen.«
Wieder nickte die Kommissarin und musste an das Fragezeichen über Elises Namen denken. Es sah so aus, als habe Günther da etwas herausgefunden, was nicht einmal der Bürgermeister wusste.
Olga Oblomov stellte zwei Tassen Cappuccino auf den kleinen Besuchertisch und sagte mit entschuldigendem Unterton: »Die Liste bring ich dann auch sofort.«
»Ja, ja, ist schon gut.« Offensichtlich schien ihr Arbeitgeber lieber über seinen Sohn als über die Jagd zu sprechen. »Er kam genau einen Tag nach meinem Geburtstag auf die Welt. Dabei hat die Elise sich so angestrengt, dass er vielleicht doch schon ein paar Stündchen früher kommt. Gepresst wie der Teufel. Aber der Bub hat nun mal seinen eigenen Kopf. Von Anfang an. Und jetzt wird er auch noch vom alten Grafen adoptiert, damit dem sein Adelstitel nicht verloren geht. Denn stellen Sie sich das einmal vor: Der Bruder von der Selma ist Priester geworden. Katholisch. Und die kriegen ja keine Kinder oder dürfen zumindest nicht. Insofern hat mein Johann echt Glück gehabt. Hoffentlich schenken die uns bald viele Enkelkinder.«
»Bad Kissingen …«, sprach Franziska in den Raum hinein und nippte versonnen an ihrem Kaffee.
»Kennen Sie es?«
»Ja.«
Markus Waldmoser seufzte. »Also den Tag, als ich meine Elise zurückholte, werde ich nie vergessen. Ich war so glücklich, sie endlich wieder bei mir zu haben und in Amerika hatte sich dieses schreckliche Unglück ereignet. Es ist so schrecklich, wie nah Freud und Leid oft beieinanderliegen.«
Franziska zog die Stirn kraus. »Was für ein Unglück?«
»Da ist doch die Raumfähre explodiert, die Challenger«, sagte er, als habe sich diese Katastrophe für immer in ihrer aller Gedächtnis eingeprägt. »Mit sieben Astronauten – alle tot. Von einer Sekunde auf die andere. So was vergisst man nie. Niemals.«
Er sah nicht, dass Franziska sich diese Daten notierte. Der Milchschaum des Kaffees hatte auf seiner Oberlippe einen kleinen weißen Schnurrbart hinterlassen.
»Wissen Sie, wenn man so plötzlich vom Tod hört, und das Autoradio hat die ganze Zeit nichts anderes gebracht, dann …« Er verstummte und sah beschämt zu Boden.
Sie nickte und sah glasklar vor sich, was an jenem Nachmittag passiert sein musste. Der gute Waldmoser, damals noch schlank und rank wie auf dem Hochzeitsbild, hatte es nicht bis zu seinem Ehebett abwarten können, sondern war bereits auf der Heimfahrt über seine durchaus bereitwillige Gattin hergefallen.
»Na ja«, murmelte er nun mit einem verlegenen Grinsen vor sich hin. »Und damals ist der Johann entstanden. Mein Bub. Auf der Heimfahrt von der Kur.«
Der Kommissarin war in diesem Augenblick klar, dass er niemals auch nur auf den Gedanken gekommen war, seine biologische Vaterschaft infrage zu stellen.
Viel später erst an diesem Tag würde sie nachrechnen und ihren Verdacht bestätigt finden. Wenn das Kind am 28. Januar, dem Tag des Challenger-Unglücks gezeugt worden war, so hätte es Ende Oktober zur Welt kommen müssen. Sein Geburtstag war aber der 8. Oktober, einen Tag nach dem seines Vaters.
Entweder war Johann-Theodor, wie er sich nun nannte, zu früh geboren, oder Elise Waldmoser hatte sich als junge und verheiratete Frau im winterlichen Bad Kissingen einen ziemlich gut aussehenden Kurschatten geleistet. Nur: Wie um alles in der Welt war Günther Hellmann auf diese Information gekommen? Sie konnte ihn nicht mehr fragen.
Der selbstgerechte Bürgermeister jedenfalls schien von diesem Kuckucksei nichts zu ahnen. Und noch weniger schien er zu wissen, dass auch sein Sprössling bereits einen Nachkommen hatte. Im Lauf ihrer Ermittlungen
Weitere Kostenlose Bücher