Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
ham’s ja ned nötig, gell? Seit gestern Vormittag wart ich auf eine Nachricht. Wenn ich jetzt ned nachgefragt hätt, dann hätten S’ mir wieder nix verzählt. Eine Ungeheuerlichkeit ist das. So also wird mit trauernden Angehörigen umgegangen. Eine Schande ist das, eine echte Schande.« Er seufzte ausgiebig und lauschte ein paar Sekunden lang der Stimme aus dem Telefon. Sein Tonfall wurde plötzlich ein wenig kleinlaut. »Wie? Unregelmäßigkeiten? Was meinen Sie? Keines natürlichen Todes? Ja, so ein Schmarrn aber auch! Jetzt hören S’ mir mal zu. Dieser Arzt da aus dem Kurbad in Griesbach hat mit mir gesprochen und hat gesagt, dass sie ein Kreislaufversagen hatte und dann noch ein zusätzliches Herzversagen. Und er hat mich angerufen, weil die Brunner Malwine zu unserer Gemeinde gehört und er nicht wusst, wen er benachrichtigen soll. Aber ich kann ja auch keinen benachrichtigen, weil die Brunnerin ja keine Angehörigen mehr hat. Was muss sie auch auf ihre alten Tage noch schwimmen lernen, die g’spinnerte Urschel. Und dann hat der Doktor mir versichert, dass er sie nach Kleinöd überführen lässt, ihre sterblichen Überreste halt. Also dass er sich ausnahmsweise mal drum kümmert, weil ich ihn so nett darum gebeten hab. Und zwar sofort. Das war vorgestern. Vor achtundvierzig Stunden! Wir müssen auch planen, wir ham auch unsre Termine. So eine Trauerfeier will organisiert sein. Verstehen S’, mir haben auch nicht alle Zeit der Welt.«
Er schluckte, hörte einen Augenblick zu und wurde unvermittelt blass.
»Was? Wohin? In die Gerichtsmedizin, nach Passau? Wer hat das denn veranlasst? Und wieso wurde ich nicht informiert? Eine Sauerei ist das, eine echte.« Seine Schimpferei klang nicht mehr ganz so überzeugend. Schnaufend erreichte er den Bürodrehstuhl aus schwarzem Leder und ließ sich erschöpft darauf nieder.
Olga Oblomov hatte genug gesehen. Sie würde ihm heute einen Latte Macchiato zubereiten. Keinen Espresso, denn der regte ihn garantiert nur noch mehr auf. Der Arme. Leicht hatte er es als Bürgermeister wirklich nicht. Dabei war er so ein guter Mensch und Ehemann – leider. Nur in ihren Träumen gelang es Olga, ihn zu verführen. Dafür ging es dann aber so richtig zur Sache.
Die verchromte Espressomaschine hatte der Bürgermeister ihr und damit ihrem gemeinsamen Büro zu Weihnachten geschenkt, und sie nahm sie täglich mindestens zweimal in Betrieb, putzte sie hingebungsvoll und fühlte sich, wenn sie das Kaffeepulver mit leichtem Druck gegen die dafür vorgesehene Rundung presste und den Filter in seine Halterung einrasten ließ, wie eine Frau von Welt, eine Grande Dame in einem eleganten Café mit vornehmem Publikum. Wenn sie sich langweilte, drapierte sie die Kaffeetassen und -becher exakt nach Form und Größe in ein extra dafür aufgestelltes Regal.
Olga Oblomov liebte ihren Beruf. Sie bezeichnete sich selbst als Assistentin und Dolmetscherin des Gemeindevorstands. Hier hatte sie Gelegenheit, bei Verhandlungen mit Saisonarbeitern ihre polnischen und rumänischen Sprachkenntnisse einzusetzen. Ihr persönlicher Bürgermeister pries sich glücklich und war stolz auf sie, als sie in Dingolfing die Verwaltungsfachprüfung I bestand und zahlte ihr seitdem jede Fortbildung, die sie sich wünschte. Endlich stimmte auch ihr Gehalt. An den Abenden besserte sie in Fernkursen ihr Bulgarisch auf. Man konnte ja nie wissen. Sicher würden irgendwann auch Bulgaren kommen und die Gurkenflieger besteigen. Die Welt war ein großer und offener Raum, in dem sich alle möglichen Nationalitäten trafen und in dem es an kompetenten Übersetzern mangelte. Sie, Olga, würde Expertin für osteuropäische Sprachen werden und irgendwann so viel verdienen, dass sie ihren Sohn Oleg auf ein feines Internat schicken konnte. Dort sollte er erstklassige Leute kennenlernen, die ihm seinen Berufsweg ebneten. Beziehungen waren alles. Das hatte sie in Kleinöd bei ihrem Bürgermeister gelernt. Augenblicklich allerdings saß der Oleg noch in der Justizvollzugsanstalt Laufen-Lebenau ein – aber nicht mehr lange.
»Ist halt mal kurz vom rechten Weg abgekommen«, hatte Waldmoser Olegs Verfehlungen souverän kommentiert und seine persönliche Referentin deswegen um keinen Deut schlechter behandelt. Er war ein guter Bürgermeister. Sie verehrte ihn.
Jetzt öffnete sie die Tür und stellte die aufgeschäumte Milch mit dem dunklen Espressofleck auf den extra dafür freigeschaufelten Platz seines Schreibtischs.
Er wischte sich
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