Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
mit einem Taschentuch die Stirn und murmelte: »Eine einzige Katastrophe ist das.«
»Probleme?«, fragte sie, wobei sie auf unnachahmliche Weise das R rollte.
Waldmoser nickte. »Die geben die Brunnerin ned zur Bestattung frei.«
»Warum denn nicht?«
»Irgendein Depp hat sie in die Gerichtsmedizin nach Passau bringen lassen. Und die haben Unregelmäßigkeiten g’funden. So ein Schmarrn aber auch. Der Tod ist immer eine Unregelmäßigkeit. Des g’hört zu seiner Natur. Wäre alles regelmäßig weitergegangen, dann würd Malwine noch munter wie ein Fisch in ihrem Thermalbecken schwimmen. Ach, sag doch bittschön den Leuten vom Bestattungsdienst ab, die ich für heut hierherbestellt hab, und mach mir gleich einen Termin beim Moosthenninger. Jetzt hatt ich schon für morgen eine Trauerfeier gebucht – aber ohne Leiche geht das ja wohl ned. Mei o mei, wenn ich da in Griesbach nicht ang’rufen hätt, keiner hätt mir was g’sagt.«
Sie telefonierte von seinem Apparat, und er trank währenddessen seinen Latte Macchiato. Der weiße Milchschaum blieb an seiner Oberlippe kleben – ein blütenweißes Schnurrbärtchen.
Sie hätte gern noch ein wenig mit ihm geplaudert. Wenn er sich aufregte, behandelte er sie wie eine Vertraute und ließ sie an seinen vielfältigen Gedanken teilhaben, aber der Pfarrer hatte gesagt, dass er gerade jetzt vor dem Mittagessen noch eine halbe Stunde Zeit habe und dann erst morgen wieder. Olga Oblomov fragte sich, womit so ein Pfarrer wohl den ganzen Nachmittag beschäftigt sein könnte. Vielleicht mit beten?
Als Martha Moosthenninger dem Bürgermeister die Tür öffnete, sah sie ihm an, dass er ungewöhnlich wütend war. Aber Hochwürden Moosthenninger, ihr Bruder, schien nicht der Anlass seines Zorns zu sein, sondern eher jemand, mit dem er seine Empörung zu teilen hoffte.
»Ich muss ihn dringend sprechen – dauert auch ned lang«, schob Waldmoser die Schwester des Pfarrers brüsk beiseite und stapfte über den mit einem roten Sisalteppich ausgelegten Flur Richtung klerikales Arbeitszimmer. Er kannte sich hier aus.
Sie nickte ergeben und schickte sich an, in die Küche zu verschwinden. Sollte er ruhig glauben, dass sie mit Kochen beschäftigt war. Dabei stand der Auflauf schon im Ofen, und die Suppe köchelte auf dem Herd. Bis zum Mittagessen gab es zum Glück nichts mehr zu tun.
Sie lehnte sich in den Türrahmen und lauschte. Die Welt war gleichberechtigt. Auch hier in Niederbayern. Und wenn Brüder und Ehemänner den Frauen nicht von sich aus erzählten, was sie beschäftigte und ihre Träume so vergiftete, dass sie morgens bleich und zitternd nach der Kaffeetasse tasteten, so war ein kleiner Lauschangriff durchaus legitim, ja eigentlich unumgänglich und als gutes Werk der Kategorie »selbstlose Fürsorge« zuzuschreiben.
Klar, dass es um Malwine ging. Martha Moosthenninger nickte zufrieden und dachte erneut, wie gut es doch war, dass sie sich rechtzeitig um alles gekümmert und vor allen Dingen auf Agnes’ Weisung geachtet hatte.
»Sag niemandem etwas von dem Neffen, auch deinem Bruder nicht«, hatte es von oben geheißen. Und wenn Agnes ihr einen Rat gab, so hielt Martha sich daran.
»Und deshalb musst du die Beerdigung verschieben!«, dröhnte die Stimme des Bürgermeisters nun durch die verschlossene Tür, worauf ihr Bruder leise etwas zu fragen schien.
»Auf wann?«, donnerte Waldmoser los. »Ja, wie soll ich das denn wissen, wie lang so was dauert? Was meinst du? Vielleicht sollten wir’s der Gemeinde noch gar ned sagen, dass sie von uns gegangen ist. Wer weiß es denn schon? Nur du und ich und der Schmiedinger Adolf, aber der ist mir quasi unterstellt, na ja, ned wirklich, sondern eher moralisch, wenn du verstehst, was ich meine, und den kann ich zum Schweigen verpflichten. Weißt, solche Informationen regen unsere Bürgerinnen und Bürger nur unnötig auf. Gerichtsmedizinische Untersuchung, ausgerechnet bei der Malwine – wer weiß, was die sich dann denken, womöglich denken die noch an Mord, als hätten wir hier nicht schon genug mit Mord und Totschlag zu tun gehabt, mei o mei, einmal muss ja wohl auch damit Schluss sein.«
Wilhelm Moosthenninger schien zu nicken.
»Kann ich mal dein Telefon haben? Dann würd ich gleich direkt von hier mit dem Adolf reden. Nicht dass sich unser Polizeiobermeister noch verplappert und für Unruhe in der Bevölkerung sorgt. Man weiß ja nie!«
Unruhe in der Bevölkerung, bei dreihundertsiebenundzwanzig Einwohnern, dieser
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