Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
unterbrochenen Rötelstiftstrichen verbunden.
»Sieht ganz so aus, als sei er sich hier noch nicht sicher gewesen und müsste noch nachrecherchieren. Schau mal, mit rotem Filzstift hat er offensichtlich nur die Linien nachgezogen, für die er definitiv Beweise hat und die nicht mehr wegradiert werden müssen.«
Bruno nickte. »Interessant. Lass uns doch mal schauen, ob wir ein paar Bekannte finden. Schau mal hier, die Linie der Daxhubers.«
»Dass Eduard und Ottilie eine Tochter haben, wissen wir doch.«
»Ja, und diese Corinna hat wiederum einen Sohn namens Paul, was wir auch wissen. Aber was wir bisher noch nicht geahnt haben, ist, dass von dem aus eine gestrichelte Linie direkt ins Nest der Waldmosers führt.«
»Was? Ich glaub’s nicht.« Neugierig trat Franziska näher an die Stammbaumwand. »Du weißt aber schon, dass diese Corinna in München lebt?«
»Und der Sohn des Bürgermeisters studiert in München – und zwar Jura, wenn mich nicht alles täuscht. Die haben halt Heimweh gehabt und sich gegenseitig getröstet.« Bruno grinste.
»Heimweh nach Kleinöd – das glaubst du doch selber nicht.« Franziska schüttelte den Kopf. »Weißt du was, wir sollten alle gestrichelten Bereiche durchsehen. Wer von den Lebenden könnte Angst um sein Erbe, um seinen Besitz haben? Und zwar so viel Angst, dass er den Einzigen, der die wahren Blutsbande kennt, vernichten muss?«
»Stimmt. Und falls er was von diesem Zimmer weiß, wird er auch das vernichten müssen.«
»Wir werden den Zugang zu diesem Raum versiegeln.«
Franziska holte ihr Diktiergerät hervor und sprach alle Namen, von denen gestrichelte Linien abgingen, aufs Band.
Als sie eine gute Stunde später im Erdgeschoss läuteten, hatte die Hausbesitzerin die Zeit genutzt und sich dezent geschminkt. Mit tragischen und kajalumflorten Augen nahm sie es hin, dass die obere Wohnung noch eine Zeit lang unbenutzt und ein Raum versiegelt bleiben würde und sie daher mit Renovierung und Neuvermietung noch warten müsse.
Mit wichtigtuerischer Miene bat sie Bruno um einen polizeilichen Rat. Nur er könne ihr helfen. Sie tat so geheimnisvoll, als habe sie eine Leiche entdeckt oder ein Depot möglicher Mordwaffen – wie Franziska später erfuhr, ging es jedoch einzig und allein um eine Strafe wegen Falschparkens.
Während Bruno sich mit der Dame herumschlug, ging Franziska zu Fuß ins Büro zurück und telefonierte mit der Fahrbereitschaft. »Ich brauch einen Wagen mit Navigationssystem.«
»Wenn Sie wollen, hätten wir auch einen Chauffeur für Sie.«
Franziska dachte kurz nach. Sie fuhr nicht gern Auto, was alle Kollegen wussten. Andererseits: Der Bruder von Günther Hellmann wohnte in Dingolfing. Das war nicht wirklich weit weg, und mit dem Navi würde sie auch problemlos die richtige Straße finden.
»Nein, danke, ich fahre selbst.«
Während sie die Hauptstraße überquerte, nahm sie aus den Augenwinkeln ihren Kollegen Bruno wahr. Der Ärmste hatte sich tatsächlich mehr als eine halbe Stunde mit den Sorgen und Problemen der kleinen Frau mit dem riesigen Haarschopf befassen müssen.
Er hielt den Hellmannschen Laptop, der in einer schwarzen Ledertasche ordentlich hinter dem Schreibtisch gestanden hatte, in der linken Hand, führte mit der rechten eine Zigarette an die Lippen und begab sich mit federnden Schritten und sehr zielbewusst Richtung Dienststelle. Sie wusste: Dort würde er bei einem gepflegten Espresso seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen und den Computer des Opfers analysieren.
Die sonore Frauenstimme des Navigationssystems führte Franziska Hausmann in eine nicht weit vom Stadtkern entfernte Neubausiedlung. Hier wohnte die Familie Edwin Hellmann in einer dreigeschossigen schmucken Doppelhaushälfte mit kleinem Vorgarten, seitlichen Gemüse- und Kräuterbeeten und einer im Südwesten gelegenen rot gefliesten Terrasse, die von Rasenflächen eingefasst war.
Franziska klingelte, und ein etwa achtjähriges Mädchen öffnete ihr die Tür.
»Hallo, sind deine Eltern da?«
Das Kind nickte verschüchtert. »Nur die Mama.«
»Kann ich die bitte mal sprechen?«
In diesem Augenblick kam Frau Hellmann mit einem Baby auf dem Arm zur Tür und wurde kreidebleich, als Franziska ihr den Dienstausweis zeigte.
»Kann ich bitte reinkommen?«
»Ist was passiert? Ist was mit meinem Mann?«
»Nein. Ich komme nicht wegen Ihres Mannes. Es geht um den Bruder Ihres Mannes, um Günther Hellmann.«
»Den kenn ich kaum. Ehrlich gesagt, hab ich ihn nur
Weitere Kostenlose Bücher