Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
hatte es das zuletzt gegeben in Kleinöd? Noch vor wenigen Wochen wäre es fast zu einem Streit gekommen, weil sich zwei Brautpaare am gleichen Tag trauen lassen wollten. Bei ihrem Bruder ging’s mittlerweile zu wie am Fließband, dabei waren sowohl Trauungen als auch Beerdigungen höchst individuelle Angelegenheiten und mussten mit Fingerspitzengefühl vorbereitet und sorgsam zelebriert werden. Der arme Wilhelm hatte ja richtig viel zu tun in diesen Tagen. Sie hätte ruhig ein bisschen netter zu ihm sein können! Sobald ihr Gast wieder einigermaßen beieinander war, würde sie für ihn wieder etwas Richtiges kochen.
»Also wird aus der Doppelhochzeit ja nun eh nix mehr«, sagte sie jetzt zu sich selbst. »Die eine Hochzeitsfeier wird sowieso schon bombastisch genug werden. Das flotte Bürgermeisterbürscherl und die nicht ganz so flotte Enkelin des Grafen. Wenn die nicht so geldig wär, würd die fei nie einen Mann finden.«
Das Leben war schon ungerecht. Wären sie und ihr Bruder im Wohlstand aufgewachsen und zusätzlich mit Adelstitel und eigenem Wappen gesegnet gewesen, so hätte auch Martha Moosthenninger einen Mann gefunden. Andererseits war das schon alles gut und richtig, wie es war. Komisch, das dachte sie in letzter Zeit immer öfter.
Und überhaupt, diese Selma von Landau hatte es ja auch nicht leicht gehabt. Die Eltern waren bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommen, als die Selma noch so klein war, dass sie weder laufen noch schwimmen konnte und mit ihrem knapp sechs Wochen alten Bruder beim Kinderfräulein und dem übrigen Personal im Schloss zurückgelassen werden musste, was – im Nachhinein gesehen – dann ja auch wiederum ihr Glück war, denn sonst wäre die ja auch gestorben, und der Waldmoser Johann hätte keine Braut gehabt.
Martha fragte sich, ob sie den Meinrad doch noch anrufen sollte. Nicht auszudenken, wenn der auf die Idee käme, seine Tante Malwine zu deren Schwester Agnes ins Grab zu legen. Nicht dass sie befürchtete, Agnes’ Wundertaten könnten nachlassen, wenn sie neben ihrer Schwester läge – viel hatten die im Leben eh nicht miteinander geredet. Aber falls die Gebeine der demnächst seligen und später dann heiligen Agnes eines Tages in die auf dem Brunnerhof errichtete Basilika überführt würden, um dort direkt neben der heiligen Quelle erneut bestattet zu werden, so bestünde im Falle von zwei nebeneinanderliegenden Särgen die große Gefahr, dass aus Versehen die Falsche umgebettet würde. Nicht auszudenken! Meine Güte, um alles musste man sich selbst kümmern. Zwei Mannsbilder im Haus – und wer hatte alles im Blick? Nur sie.
Martha betrat den Flur und ging Richtung Telefon, als Ägidius Alberti bleich und wacklig die Treppe herunterschwankte. Der graue Anzug schlotterte um seinen dürren Leib. Die dunklen Bartschatten auf den Wangen ließen ihn hohlwangig erscheinen.
»Geht’s uns schon besser?«, fragte Martha leutselig und bemühte sich, ihre Besorgnis nicht ganz so offensichtlich zu zeigen.
Er nickte.
»Sie müssen sich noch ein wenig stärken, bevor Sie wieder unters Volk gehen«, meinte sie tröstend. »Das wird schon wieder. Außerdem kann ich Ihnen heute Nachmittag mein Bücherl zeigen, in dem sind nämlich alle Mysterien, Heilungen und zutreffenden Vorhersagen der Agnes verzeichnet. Mit Ort und Datum und Erfüllungsfaktor.«
Er sah sie nur an. Vermutlich war dies ein Tag, an dem er gar nichts sagen wollte. Martha frohlockte. So konnte er ihr auch nicht widersprechen.
Bereitwillig ließ er sich von ihr in die Küche bugsieren, nahm am Esstisch Platz, und während sie ihm einen Teller Gemüsecremesuppe hinstellte, begann sie mit ihrem Vortrag über die nach oben offene Erfüllungsfaktorskala.
»Das ist wie bei den Erdbeben, verstehen Sie? Da gibt’s ja die nach oben offene Richterskala, weil man vermutlich immer mit noch was Größerem und Schlimmerem rechnet, als eh grad schon passiert. Und so eine Skala hab ich auch für die Wunder der Agnes angelegt. Von eins bis nun schon neun. Neun, wissen Sie, Nummer neun, das ist die Quelle mit dem heißen Wasser, das den Leuten die Gicht aus den Gliedern nimmt.«
Brav löffelte er sein Süppchen und ließ sie ausreden. Was für ein wunderbarer Mensch.
Als Meinrad die Telefonnummer in sein Handy tippte, wäre er fast abgerutscht, so feucht waren seine Hände. So kannte er sich nicht. So nervös. Aber noch nie zuvor in seinem Leben hatte so viel auf dem Spiel gestanden. Seine ganze Existenz könnte sich
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