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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Allerleirauh geblieben?« fragte er, als er die Katzensammlung und ihre Orchideen entdeckte.
    »Auf und davon«, sagte ich lakonisch und hatte dabei den guten Einfall, wie ich Felix bei dieser Gelegenheit um ein paar hundert Mark angehen könnte. »Wir haben noch nicht einmal Geld für eine Pizza.«, sagte ich, »seit Tagen leben wir von Tee und Knäckebrot, sieh mal« - dabei riß ich die Tür des leeren Kühlschranks auf -, »Kathrin versucht gerade, bei Verwandten in Italien etwas Geld aufzutreiben.«
    Felix staunte. »Aber sie hat doch Arbeit...«, wandte er ein.
    »Trotzdem ist sie bis über beide Ohren verschuldet«, behauptete ich.
    Erwartungsgemäß kam die Frage: »Und wovon lebst du eigentlich?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Früher konnte ich auf Cora zählen. Was meinst du wohl, warum ich Bela jetzt zu seinem Vater bringen mußte? Weil ich ihn nicht mehr ernähren konnte!« Und bei diesen Worten, an die ich in diesem Moment selbst glaubte, mußte ich weinen.
    Kurz darauf ging Felix zum Bankautomaten, kam mit tausend Mark zurück und sagte zum Abschied: »Gute Nacht, liebes Mädel, gut' Nacht!«
    Er war viel zu gut für Cora und wahrscheinlich auch für Amerika und den Rest der Welt; für eine weite Reise reichten seine Ersparnisse jetzt ohnehin nicht mehr. Sozusagen als Belohnung erlaubte ich ihm, sich doch die Telefonnummer zu notieren.
    Als ich in Kathrins Lehrbuch blätterte, packten mich Zweifel.
    Beim Kiebitzen hatte sich alles ganz einfach angehört.
    Nun dämmerte mir aber, daß Kathrin diese Schulstunde gut vorbereitet hatte und es keinesfalls so leicht war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es säßen zwar nur zwölf Personen im Kurs, aber gebildete Leute, denen ich kein X für ein U vormachen konnte. Sicher, ich konnte mich fließend auf italienisch unterhalten, aber Regeln hatte ich niemals gelernt.
    Meine Kenntnisse stammten im wesentlichen von Emilia, deren hohe natürliche Intelligenz zwar ihre geringe Schulbildung ausglich, die aber nie einen Anlaß dafür gehabt hatte, mit mir über die Anwendung des Konjunktivs zu diskutieren. Die halbe Nacht saß ich und paukte, machte mir Notizen, rauchte wie ein Schlot und stöhnte, denn ich hatte seit der Schulzeit kein Lehrbuch mehr in Händen gehalten.
    Als ich dann im Klassenzimmer vor fremden Menschen stand und erklären mußte, daß Kathrin Schneider ans Sterbebett ihrer Großmutter geeilt sei, wurde mir zum ersten Mal bewußt, daß sie die Ausrede, die sie mir aufgetragen hatte, von Cora gestohlen hatte!
    Im Verlauf des Unterrichts wurde ich zusehends unsicherer, bis ich mich in ein regelrechtes Nervenbündel verwandelte, meine wirren Notizen beiseite legte und nur noch in der Lage war, die Verbesserung der Aussprache zu trainieren.
    Wir übten und übten immer den gleichen Text, bis er uns allen zu den Ohren herauskam. Noch heute höre ich im Geiste, wie meine Schüler im Chor plärrten: Cameriere, U conto per favore!
    Schließlich war es geschafft. Die Herzen meiner Schüler hatte ich offensichtlich nicht gewonnen, denn sie wollten unbedingt wissen, ob ich Kathrin beim nächsten Mal wieder vertreten werde. Wahrscheinlich nicht, sagte ich, aber es sei schließlich bekannt, daß sich das Sterben eines Menschen gelegentlich hinauszögere. Vor allem das alte Ehepaar nickte mit ernster Miene; zu meinem Schrecken erfuhr ich, daß es pensionierte Lehrer waren.
    Am Tor stand der Zuhälter und musterte mich gleichgültig.
    Im Vorbeigehen schielte ich auf sein Handgelenk: keine Rolex, auch kein Goldschmuck am Hals, noch nicht einmal eine verspiegelte Sonnenbrille in der Brusttasche. Eigentlich sah er eher aus wie ein Versicherungsangestellter. Hinter dem Schulgelände blieb ich grübelnd stehen. Wenn sich Kathrin nun irrte? Neigte sie in ihrer Hysterie vielleicht zu Halluzinationen? Das ließe sich doch leicht überprüfen.
    Kurz entschlossen versteckte ich mich hinter dem großen Müllcontainer, um den Kerl nun meinerseits zu beschatten.
    Wie lange mochte er so geduldig warten? War er am Ende ein Dealer, der Schulkinder ködern wollte? Da ich ein ungeduldiger Mensch bin, trat ich bald von einem Bein auf das andere. Zehn Minuten und keine Sekunde mehr, dachte ich, mich länger hier herumstehen zu lassen ist eine Unverschämtheit.
    Privatdetektiv wäre kein Beruf für mich.
    Als die Frist gerade verstrichen war, hinkte ein Jugendlicher mit eingegipstem Bein aus der Schule. »Hallo, Papa!«
    rief er, und der Zuhälter nahm seinem Sohn hilfsbereit die

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