Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
sei schwer, Coras Widersprüchlichkeit zu ertragen. Sie sei eine echte Aprilfrau: oft die Liebenswürdigkeit in Person, großzügig, herzlich, witzig, sehr charmant. Dann wieder - als könne sie die eigene Freundlichkeit nicht lange aushaken - von schneidender Arroganz, Kälte, Gefühllosigkeit, ja Grausamkeit. Wenn sie sich in diesem Stadium befand, konnte Felix sagen, was er wollte, sie machte sich über jedes seiner Worte lustig und ließ ihn spüren, wie einfältig und spießig er ihrer Meinung nach war. Als er sich einmal wortlos zurückzog und seinen Koffer packte, um diesem demütigenden Treiben ein Ende zu machen, habe sie ihn unverhofft in seinem Zimmer aufgesucht, umarmt, geherzt, um Verzeihung gebeten, ja um ein Haar verführt.
    »Ihr habt also in getrennten Zimmern gewohnt?« hakte ich nach.
    Felix nickte. Aber sie sei jeden Abend zu ihm gekommen, habe im Nachthemd - oder was sie dafür hielt - auf seinem Bett gelümmelt, seine Bude vollgequalmt und ihm
    Italienischunterricht erteilt. Beim ersten Mal habe sie ihm nützliche Vokabeln für den täglichen Gebrauch beigebracht, am nächsten Abend sei die Sache schon etwas mehr auf Zweideutigkeiten hinausgelaufen, schließlich habe er ihre Schweinereien nachplappern müssen. Dabei sei er leider unbegabt für Sprachen, in Latein habe er nie eine gute Note gehabt, und nun studiere er nicht ohne Grund Maschinenbau und nicht etwa Italienisch. Wenn er seine Sache gut gemacht hatte, wurde er mit einem Kuß belohnt, falls er aber - wie häufig - die Lektion nicht behielt, dann...
    »Was dann?« fragte ich.
    Er gab mir keine Auskunft über Coras Domina-Talente, erhob sich und steckte seine Brieftasche ein. »Wenn du magst, kannst du ja mitfahren«, schlug er vor, »und wir können im Auto weiterreden. Außerdem solltest du unbedingt meinen Großvater begrüßen, er liebt nichts mehr als junge Frauen. Wenn meine Oma allerdings allzu lange an seinem Bett hocken möchte, wird es sterbenslangweilig.
    Wir können uns aber in den Garten oder die Cafeteria verziehen.«
    Charlotte Schwab schien über meine Anwesenheit nicht sonderlich erbaut zu sein, sagte aber nichts. Sie saß vorn neben Felix, ich im Fond. An der Unterhaltung von Großmutter und Enkel beteiligte ich mich nur wenig, lauschte aber mit Interesse. Auch die Oma wollte wissen, wie es Cora gehe, und bohrte ein wenig, warum sie mich nicht abgeholt habe. Felix erwies sich als Meister der Diplomatie, zeigte beim Lügen zwar weniger Phantasie als ich, rang mir aber doch eine gewisse Bewunderung ab, weil er die Alte weder aufregte noch reinlegte, sondern indirekt informierte.
    Oma Schwab konnte sehr wohl zwei und zwei zusammenzählen.
    »Meine kleine Cora«, sagte sie nach einer Weile, nicht ohne Pathos, »meinem Herzen so nahe! Und gleichzeitig mein Sorgenkind.«
    »Wegen Cora müssen Sie sich keine grauen Haare wachsen lassen«, mischte ich mich ein. »Sie kommt im Leben gut zurecht.«
    Eine Weile rang Charlotte Schwab nach den passenden Worten. »Ich sag' es mal mit Goethe«, begann sie: Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein, hangen und bangen in schwebender Pein, himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, glücklich allein ist die Seele, die liebt.
    Felix grinste ein wenig, aber ich war tief beeindruckt. Wir sprachen alle kein Wort mehr, bis wir auf dem Parkplatz des Altersheims angekommen waren. Dort fiel Charlotte ein, daß der Blumenstrauß immer noch in ihrer Küche lag.
    Der uralte Hugo erwartete uns. Über sein Gesicht ging ein Leuchten, als er seine Geliebte umarmte. Dann begrüßte er mich und Felix. »Und wie läuft der neue Wagen? Eine hübsche Freundin hast du, Junge!« sagte er. »In deinem Alter war ich auch so ein Tausendsassa!«
    Wir ließen ihn in seinem Glauben und wollten uns schleunigst in den friedlichen Garten des Altersheims absetzen.
    Wir hatten noch nicht die Tür hinter uns zugezogen, da vernahmen wir bereits Gesang, zwei zittrige Stimmen im Duett.
    »Ja, du kennst meine Großeltern nicht«, sagte Felix, als ich lauschend verharrte. »Kaum sind sie beisammen, werden Verslein deklamiert und Liedchen gesungen, die ich fast nie kenne. Wenn ich dann wie ein Depp mit offenem Maul lausche, zeigt meine Großmutter eine ganz leichte Anwandlung von Arroganz - ihre hochgezogenen Brauen interpretiere ich als Kummer über den Bildungsstand der heutigen Jugend.«
    Wir saßen lange auf einer Parkbank, sahen den Schmetterlingen auf einer violett blühenden Buddleia zu und versuchten, uns unser Leid von

Weitere Kostenlose Bücher