Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05
alle heranschlich. Das Erste, wodurch sich dieses gewaltige Ereignis ankündigte, war ein Langsamerwerden ihrer Geschwindigkeit und ein lautes Tuten. Der Kapitän entschuldigte sich hastig und beendete seinen Tee, und die Tunstells hielten in ihren Mätzchen inne und standen dumm herum.
Die Schiffsglocken erklangen, und alle machten sich eifrig daran, ihre Unterhaltungen und Mahlzeiten zu Ende zu bringen, ohne jeglichen Anschein von Aufregung oder Hast, jedoch eindeutig unter dem Einfluss von beidem.
»Sind wir angekommen?«, fragte Alexia ihren Ehemann. »Ich glaube nämlich, dass wir das tatsächlich sind.«
Conall, für den der High Tea eine sinnlose Betätigung war, da dabei nur wenig Proteinreiches und viel zu kleine Sandwiches gereicht wurden, erhob sich. »Komm mit aufs Oberdeck, meine Liebe. Dann sehen wir es ja.«
Alexia nahm Prudence hoch, die der augenscheinliche Vorwand dafür war, dass sie früh aufgestanden waren und am Tee teilnahmen. Die Kleine hatte noch nie eine sonntägliche Teestunde in öffentlicher Gesellschaft auf einem Dampfschiff erlebt, und Alexia hatte gedacht, sie könnte an diesem Vergnügen vielleicht Gefallen finden. Das tat Prudence tatsächlich, obwohl ihr gutes Benehmen womöglich besser der Bühnenaufführung als den Speisen zugeschrieben werden musste. Prudence fand die Tunstell-Version von Macbeth faszinierender als irgendjemand sonst, vermutlich weil die Possen in etwa ihrem Bildungsniveau entsprachen oder weil sie durch das Zusammenleben mit Lord Akeldama einen gewissen Grad an extravaganter Theatralik für selbstverständlich hielt.
Prudence war besonders angetan davon, dass Mr Tumtrinkle nun auf den Namen Macduff hörte, möglicherweise weil sie Macduff sagen konnte, Tumtrinkle jedoch nicht. Sie war außerdem wie hypnotisiert von seinem Schnurrbart, was deutlich wurde, als sie zum Promenadendeck emporstiegen und der Schauspieler hinter ihnen stehen blieb. Prudence lehnte sich über die Schulter ihrer Mutter, schnappte nach dem Schnurrbart und trug ihn schließlich voller Stolz selbst auf ihrem pummeligen Gesichtchen.
»Also wirklich!«, war der Kommentar ihrer Mutter, die allerdings nicht versuchte, ihn ihr wegzunehmen.
Madame Lefoux trat neben sie und schenkte Prudence einen anerkennenden Blick aus grünen Augen. »Ein Kind ganz nach meinem Herzen.«
»Bloß nicht!«, sagte Alexia, möglicherweise zu beiden. »Prudence, Liebling, schau: Ägypten!« Sie zeigte voraus, während die sandfarbenen Gebäude des letzten großen Mittelmeerhafens die Strahlen der langsam untergehenden Sonne einfingen. Das Erste, das auftauchte, war der berühmte Leuchtturm, der über eine farblose Küstenlinie emporragte. Alexia gestand sich allerdings insgeheim ein, dass er ein wenig kleiner wirkte, als sie gedacht hatte.
»Nein«, sagte Prudence, sah aber trotzdem hin.
Unvermittelt kam das Dampfschiff tuckernd zum Halten, was alle enttäuschte.
»Wir müssen warten, um einen Lotsen an Bord zu nehmen«, erklärte ausgerechnet Ivy Tunstell.
»Wirklich?« Erstaunt sah Alexia ihre Freundin an. Ivy war neben sie getreten, immer noch in ihr mittelalterliches Kleid gekleidet und mit der blonden Perücke auf dem Kopf.
Ivy nickte weise. »Die Fahrrinne in den Hafen ist schmal, seicht und felsig. Das steht im Baedeker.«
»Nun, dann muss es wohl stimmen.« Alexia erspähte einen kleinen Schlepper, der durch die Fluten auf sie zugetuckert kam. Ein munterer dunkelhäutiger Kerl in sehr schlecht sitzender und weiter Kleidung wurde an Bord gelassen. Er grüßte die Passagiere mit beiläufiger Geste und verschwand dann in Richtung Ruderhaus.
Augenblicke später setzte sich der Dampfer schnaufend und rumpelnd wieder in Bewegung und bahnte sich gemächlich den Weg in den Hafen von Alexandria.
Lady Maccon war erfreut, dass die Stadt ihren Erwartungen durchaus gerecht wurde. Während Ivy über die Pompeiussäule, das Kap der Feigen, das Arsenal und zahlreiche andere Sehenswürdigkeiten von Interesse plapperte, ließ Alexia einfach nur den Ort auf sich wirken. Eine gedämpfte Ruhe ging von den exotischen Gebäuden und den weißen Marmortürmen der Moscheen aus. Sie glaubte, Ruinen im Hintergrund auszumachen. Alles war hauptsächlich sandfarben, orange erleuchtet von der Sonne – wahrhaftig eine aus der Wüste gehauene Stadt, völlig fremdartig in jeglicher Hinsicht.
Ivy entschuldigte sich bei ihren Mitreisenden. »Zu viel Seeluft kann schädlich auf die geistige Stabilität wirken, das habe ich
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