Sense
der Anlage zu bilden schien, andere waren in scheunenähnlichen Anbauten untergebracht, und eine Beschilderung, was wo war, hatte noch niemand für nötig befunden. Und fragen mochte ich nicht. Also lief ich herum und versuchte, trotz meines inneren Tumultes, trotz meiner Stinkwut, milde angetan vom Ambiente und gerade gelangweilt genug auszusehen. Zu guter Letzt fand ich die Boxen 17 A bis C, auch ohne zu fragen. Sie blickten auf den Sandplatz, und von der gegenüberliegenden Seite blickten die Fenster des Reiterca-sinos zurück. Mist. Na, irgendwo würden die Öffnungszeiten angeschlagen sein. Sollte mich wundern, wenn die Herrenreiter sich hier länger als bis elf abpumpen durften. Doch zuerst wollte ich jetzt rasch die Boxen, insbesondere Schlösser und Riegel, und, wo ich schon mal da war, auch die sündteuren Huftiere in Augenschein nehmen. Es war doch von Interesse, was man in ein paar Stunden mit je zwei Kugeln durch die Stirn in die ewigen Weidegründe schickte. Schade um die Klepper, sicher, doch würde ihr Verlust diesen Schweinehund König im Hieb um gleich eine halbe Million zurückwerfen. Und um nichts anderes ging es hier. Oder doch - ich hoffte, er mochte, ja, er liebte diese Tiere.
Die oberen Hälften der Stalltüren standen offen, an die unteren waren geprägte Namensschilder geschraubt.
»Na«, sagte ich, »Nosferatu, du alter Stoppelhopser, wie schmecken die Halme heute?«
Schlösser und Riegel waren massiv, wie man sich denken konnte, genauso die Scharniere, doch die Rückwand der Box sah mir sehr nach einem simplen Sandwich aus zwei Lagen Brettern mit ein bisschen Dämmung dazwischen aus. Nageleisen, Zange, grober Fuchsschwanz, zehn Minuten. Es gibt immer, immer, immer einen Weg hinein.
Nosferatu streckte neugierig seinen mächtigen, schwarzbraunen Kopf heraus und begann, mir auf eine exploratorische Art die Taschen abzuknabbern. Was für einen Riesenschädel so ein Gaul hat, dachte ich. Stirnfläche wie ein DIN-A4-Blatt. Selbst mit Links unmöglich zu verfehlen. Der Pferderipper nimmt Maß, dachte ich. Kryszinski im Blutrausch.
»Was machst du denn hier?«
Ich hatte Nosferatu aus einer um die Ecke stehenden Schubkarre eine Möhre besorgt und dann, weil sie so vorwurfsvoll kuckten, Sunday Times und Prendstout auch je eine, die sie mit merklicher Begeisterung und unter gewaltigem Speichelfluss verdrückten, war dann noch mal gelaufen und kam gerade von meiner dritten Tour zurück, diesmal mit der ganzen Karre, als Veronika meinen Weg kreuzte. Frau Anwältin. In Ausübung eines standesgemäßen Hobbys. Mit einem hellgrauen, dunkelgrau gepünkelten, fix und fertig gesattelten Pferd im Schlepptau und in engen Reithosen und ... Stiefeln. Jeija.
»Nun?« Sie erwartete eine Antwort. Ich stellte die Schubkarre ab. Ich hob meinen Blick. Ich runzelte die Brauen.
Ich sagte: »Du siehst gar nicht gut aus.« Keine nette Eröffnung, doch es stimmte. Veronika war nicht nur immer schon schön anzuschauen gewesen, sie hatte auch immer etwas ausgestrahlt. Energie, Geist, Klasse. Heute war sie blass, wirkte matt, und die zwei Linien von Nase zu Mund kamen mir neu vor. Ihre Augen waren kaum auszumachen hinter den schwarzen Gläsern ihrer Ray-Ban. »Hast du etwa abgenommen?« Sie wird mir doch nicht magersüchtig sein, dachte ich.
»Stress«, antwortete sie kühl und drehte sich von mir weg, um am Sattelgurt herumzufummeln. »Ich habe sehr viel Stress im Moment. Geschäftlich und privat.«
Na, dachte ich, damit sind wir schon zwei. Doch schien es mir hier weder Zeit noch Ort zu sein, näher darauf einzugehen. Und auch nicht darauf, was ich hier so machte.
»Seit wann reitest du?«, fragte ich, Meister des ablenkenden Small Talks. >Privat, hallte es nach bei mir. Oha. Was konnte das bedeuten? Hatte Drago sich nun doch geoutet? Vorgeschlagen, sie könnten ja Freunde bleiben?
»Seit ein paar Monaten wieder. Ich habe ja praktisch meine gesamte Teenagerzeit auf dem Pferderücken verbracht.« Sollte ich mal nachhaken? Ich meine, in Bezug auf >privat Vielleicht war sie ja einsam, innerlich. Wie ich. Dann erschien Dragos Gesicht über meinem geistigen Horizont, und es verging mir wieder. Nach der Scheidung wäre immer noch Zeit, entschied ich.
»Dein Pferd?« Der Graue beäugte mich nervös, als sei mir nicht zu trauen. Grundlos.
»Ursels. Sie und Sascha haben . hatten . « Sie brach ab, mit der Formulierung überfordert, und bückte sich, um dem Pferd eine Bandage zu richten. »Zwei Pferde«, sagte sie
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