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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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dem Betriebsauto zum Eisleber Bahnhof.
    Ein Katzensprung.
    Es wird schon werden, sagt er. Er trägt das Paket und den Sportbeutel bis zum Fahrkartenschalter. Einmal Dresden, sagt Eli. Dresden kenn ich, sagt der Fahrer. Ich kenne so ziemlich die ganze Republik. Schade, sagt er, wer weiß, ob der nächste Mieter Schach spielen kann. Ludwig, der war im Endspiel nicht leicht zu schlagen.
     
    Eli fährt nicht nach Dresden. Was soll sie denn dort? Ihr Bett ist ein Gehege für Antons Komposthaufen. Außerdem ist Anton mit seinen Kletterbeinen gewiss unterwegs, pennt in einer Bove in der Sächsischen Schweiz, alleine oder mit dem Verein oder einer neuen Wanderfreundin oder mit Alice, die vielleicht zurückgekommen ist aus dem Westen, weil sie ohne Anton, ohne die Elbe und die Sandsteinfelsen nicht mehr leben wollte. So was hat man schon gehört. Zwar selten, aber das gibt es. Was gestern noch unmöglich war, ist heute wieder möglich, sogar straffrei, in Ehren.
    Eli will ohne alles leben. Sie braucht nichts. Sie braucht nur einen Gedanken.
    In Halle steigt sie aus. Sie fährt mit dem Bus bis nach Leuna. Dort riecht es vertraut, fast heimatlich. Sie kennt die Farben, den türkisfarbenen Himmel, der zart ist wie chinesische Seide, das Feierabendlicht, das Wetterleuchten. Die Schornsteine züngeln, Ammoniak, Schwefel, grüne Fackeln. Der Wind kommt von Süden. Also ist die Luft geschwängert von süßem Petrol. Hunger fühlt sich so an oder Durst oder Müdigkeit. Die bleierne Müdigkeit. Es gibt nur eine Straße in Richtung Wald. Die Dübener Heide. Dort leuchten die Sterne. Jetzt erst einmal im Lied. Das alte Soldatenlied, wenn abends die Heide träumt, dann rufen die Sterne ja so hell aus der Ferne dein Bildmir zurück. Papa hatte eine schöne Stimme. Beinah wie Caruso oder Richard Tauber. Bis Stalingrad. Dort ist er gefallen. Ein Heldentod. Immer der Nase nach. Und Tempo. Weil der Ohrwurm den einzigen Gedanken verletzen könnte. Papa verschwindet. Die Melodie folgt. Eli sucht einen Schlafplatz. Bevor es finster wird. Seitlich am Hauptweg, hinter einer Buche. Der Mantel aus dem Jagdausstatter ist sein Geld wert. Erst die Lederjacke, darüber zieht Eli den Mantel.
    Es ist eine kalte Nacht zwischen den großen Jahreszeiten. Oktober. Ludwigs Geburtstag. Am klaren Himmel funkeln wirkliche Sterne. Wirkliche Panzer rollen durch die Dübener Heide. Das müsste Eli eigentlich wissen. Die Dübener Heide ist ein militärisches Übungsgebiet. Man hört das komische Grollen, wie es sich zwischen den Bäumen in einer milchlichten Wolke nähert. Es ist Staub. Scheinwerfer tasten am Hauptweg entlang, rechts, links, durchleuchten den Dübener Wald. Es rasselt, donnert, kracht umfassend, wie das Ende, vor dem es keinen Zweck hat, zu fliehen. Furcht hat hier keinen Zweck.
    Eli wartet hinter der Buche. Der Jagdmantel reicht Eli bis zu den Knöcheln. Es sind sowjetische Panzer. Jedenfalls Kettenfahrzeuge. Rote Armee. Koexistenz. Das dauert über die Nacht. Mit der Morgendämmerung verschwinden die Schlusslichter hinter den Kiefern, das Grollen ist kaum noch zu hören. Es liegt in den Ohren, dann wird es still, als wäre man krank oder schon gestorben. Sterbensstille, bis der Erste und dann auch gleich der Chor das Programm übernimmt. Die Waldvögel singen.
    So begibt sich Eli auf den Weg. Jägergrün, den Sportbeutel auf dem Rücken. Begleitet von dem einen einzigen Gedanken und von den vielen zarten und überwältigend kräftigen mutig ineinandertönenden Stimmen. Immer geradeaus. Vorbei an zurückgebliebenem Zeug, Geräte, ein Panzer liegt auf dem Rücken, Grasbatzen in den Ketten. Rostig, friedlich, kaputt.Bis nach Wittenberg. Die Türme der Schlosskirche grüßen. Ein silberfarbener Fluss in wiesengrünem Bett. Das soll die Elbe sein. Die Sonne steigt. Schnell trocknet der Tau. Margeriten, Pechnelken, Pfirsichblättrige Glockenblumen, Sächsisches Schaumkraut, dazu zwei orangefarbene Aurorafalter. Die letzten des Jahres.
    Eli fällt in die Wiese, sie will nicht schlafen. Sie will wach sein, mit dem einzigen Gedanken. Darum ist sie auf der Welt. Sie schiebt die Hände unter den Jägermantel. Sie tut die Hände auf den warmen Bauch. Unser Bauch. Wiege. Wonne. Fliegen schwirren. So schläft sie ein. Als sie aufwacht, scheint ihr die untergehende Sonne direkt ins Gesicht. Neben ihr das schwarze Bein einer schwarzweiß gefleckten Kuh, soweit das Auge reicht wiederkäuende, Fliegen scheuchende Herdentiere. In Erwartung der Nacht. Eine

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