Septimus Heap 01 - Magyk
dorthin, bis er ein Versteck entdeckte, nämlich Nickos baumelnden Ärmel, und darauf zulief.
»Du hast ihn!«, rief Marcia. »Er ist in deinem Ärmel. Schnell, ins Glas damit.« Nicko wagte nicht hinzusehen. Er schüttelte den Ärmel wie wild über dem Glas und stieß es um. Der Charm purzelte über den Tisch, fiel zu Boden und löste sich in Luft auf.
»Ach, du grüne Neune!«, schimpfte Marcia. »Die sind vielleicht unbeständig.« Sie fischte einen anderen Charm aus dem Buch und ließ ihn gleich in das Glas fallen, ohne ihn vorher herumzureichen.
»Mach schon«, sagte sie gereizt. »Das Eingemachte verliert schnell seine Wirkung. Beeilung.«
Sie fasste herüber und schnippte den Tausendfüßler gekonnt von Nickos Ärmel direkt ins Glas. Im nächsten Moment kippte Junge 412 die klebrige grüne Pampe darüber. Jenna schraubte den Deckel fest zu, knallte das Glas mit einer schwungvollen Bewegung auf den Tisch, und alle beobachteten die Verwandlung im letzten Einmachglas.
Der Tausendfüßler im Glas befand sich in einem Schockzustand. Er hatte unter seinem Lieblingsstein geschlafen, da kam plötzlich ein Riese mit rotem Kopf, nahm den Stein weg und hob ihn selbst in die Höhe. Doch es kam noch schlimmer: Er, von Natur aus Einzelgänger, wurde in einen Haufen lärmender, schmutziger und ausgesprochen rüpelhafter Insekten geworfen, die schubsten und drängelten und versuchten, ihm in die Beine zu beißen. Wenn der Tausendfüßler etwas nicht leiden konnte, dann dass man seine Beine in Unordnung brachte. Er hatte viele Beine, und jedes einzelne musste tadellos in Schuss sein, sonst konnte es für ihn unangenehm werden. Arbeitete nur ein einziges Bein unzuverlässig, war es um seinen Besitzer geschehen – er irrte endlos im Kreis. Deshalb hatte sich der Tausendfüßler auf den Schüsselboden verkrochen und dort geschmollt, bis ihm irgendwann auffiel, dass alle anderen Insekten fort waren und er kein Versteck mehr hatte. Jeder Tausendfüßler wusste, dass »kein Versteck haben« das Ende der Welt bedeutete, und unser Tausendfüßler musste jetzt erfahren, dass dies wirklich stimmte, denn er schwamm in einem zähen grünen Brei und etwas Schreckliches ging mit ihm vor. Er verlor ein Bein nach dem anderen.
Und nicht nur das. Sein langer, schlanker Leib wurde kürzer und dicker, sodass er bald aussah wie ein dreieckiges Monstrum mit einem kleinen spitzen Kopf. Auf dem Rücken hatte er ein stabiles Paar gepanzerter grüner Flügel, und seinen Bauch bedeckten dicke grüne Schuppen. Und als sei das noch nicht schlimm genug, hatte er, der Tausendfüßler, jetzt nur noch vier Beine! Vier dicke grüne Beine. Wenn man so etwas überhaupt Beine nennen konnte. Er verstand unter Beinen jedenfalls etwas anderes. Er hatte zwei oben und zwei unten. Die beiden oberen waren kürzer als die beiden unteren. Sie hatten jeweils fünf spitze Dinger an den Enden, die er bewegen konnte, und eins von den oberen Beinen hielt einen kurzen scharfen Stab aus Metall. Die beiden unteren Beine hatten große und flache grüne Dinger am Ende, und an jedem waren fünf noch kleinere spitze grüne Dinger vorne dran. Eine absolute Katastrophe. Wie konnte jemand mit lächerlichen vier Beinen leben, die noch dazu dick waren und in spitze Dinger ausliefen? Was für eine Art von Geschöpf war das?
Diese Art von Geschöpf war, auch wenn es der Tausendfüßler nicht wusste, ein Panzerkäfer.
Der Ex-Tausendfüßler war jetzt ein voll ausgebildeter Panzerkäfer und schwamm in der zähen grünen Pampe. Er bewegte sich ganz langsam, als probierte er seinen neuen Körper aus. Mit einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht blickte er durch den grünen Schleier hinaus in die Welt und wartete auf den Augenblick seiner Befreiung.
»Der perfekte Panzerkäfer«, sagte Marcia stolz, als sie das Glas ins Licht hielt und den Ex-Tausendfüßler bewunderte. »Der ist uns am besten gelungen. Gut gemacht, Leute.«
Bald standen die siebenundfünfzig Marmeladegläser aufgereiht auf den Fensterbänken und bewachten die Hütte. Sie boten einen unheimlichen Anblick mit ihren hellgrünen Bewohnern, die verträumt in der grünen Pampe schwebten und die Zeit verschliefen, bis jemand den Deckel abschraubte und sie freiließ.
»Was passiert eigentlich, wenn man den Deckel abschraubt?«, fragte Jenna.
»Nun«, antwortete Marcia, »der Panzerkäfer springt heraus und verteidigt dich bis zu seinem letzten Atemzug, es sei denn, dir gelingt es, ihn wieder einzufangen und ins Glas
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