Septimus Heap 05 - Syren
mit einer erhabenen Siegelplatte aus Silber versehen. Der goldene Teil trug eine lange Inschrift aus dicht gedrängten Buchstaben, die an der Siegelplatte begann und dann spiralförmig bis zum Rand führte.
Syrah deutete mit zitterndem Zeigefinger auf die Luke. Ihre andere Hand griff ihr an den Hals, ließ wieder los, packte ihren Zeigefinger und drückte ihn nach unten. Jetzt begriff Septimus, was Syrah von ihm wollte: Er sollte mit dem Schlüssel die Luke versiegeln. Er wusste nicht, warum es hier einen Eistunnel gab, und er wusste auch nicht, warum die Luke nicht versiegelt war, aber eins wusste er: Er musste schnell handeln. Syrah verlor die Gewalt über sich. Rasch nahm er den Alchimieschlüssel vom Hals, kniete sich in das eiskalte Wasser und hielt den Schlüssel über die Versiegelungsplatte. Er spürte Syrahs Blick in seinem Nacken und schaute auf. Ihre weißen Augen beobachteten ihn mit dem Ausdruck einer Wolverine, die zum Sprung ansetzt.
Plötzlich warf sie sich auf ihn und entriss ihm den Schlüssel. Er sprang auf, und dann geschah etwas Seltsames: Syrah, deren Muskeln noch von dem Kampf gegen den Willen der Sirene zitterten, legte ihm den Schlüssel ganz ruhig in die Hand zurück und formte mit den Lippen die Worte Lauf, Septimus, lauf. Im nächsten Moment wurde ihr Körper von einer inneren Kraft zu Boden geworfen, und sie fiel der Länge nach in den See aus geschmolzenem Eis.
Eine Sekunde lang stand Septimus unschlüssig da und überlegte, ob er Syrah irgendwie retten konnte, aber dann sah er einen verräterischen blauen Dunst von ihrer mit dem Gesicht nach unten liegenden Gestalt aufsteigen. Er kam wieder zur Besinnung und schlug mit der flachen Hand auf die abgenutzte Klappe in der schwarzen Wand. Zischend fuhr die Tür auf. Er sah, wie hinter ihm der Besetzergeist aus Syrah emporwuchs wie ein Krebs, der sich aus seiner Schale pellte, und rannte los.
Betend, dass sich die Tür wieder schloss, bevor die Sirene sie erreichte, sauste er mit klappernden Stiefeln die Steintreppe hinauf. Oben angekommen, drehte er sich um und sah, wie sich der Geist der Sirene durch den immer kleiner werdenden Spalt quetschte. Er hatte genug gesehen. Er preschte durch den gekrümmten Backsteingang, der kein Ende zu nehmen schien, doch schließlich tauchte die schwarz glänzende Wand der beweglichen Kammer vor ihm auf. Er musste zusehen, dass er in die Kammer kam und die Tür rechtzeitig schloss. Das war seine einzige Chance.
Schlitternd kam er vor der kahlen Wand zum Stehen. Wo war die Tür? Er atmete tief durch – konzentriere dich, konzentriere dich! Dann endlich entdeckte er die abgegriffene Stelle, auf die Syrah ihre Hand gelegt hatte. Er drückte seine Handfläche darauf, das grüne Licht erglühte, und die Tür glitt auf. Er sprang hinein und drückte die Hand auf die entsprechende Stelle auf der anderen Seite. Die Tür begann gerade, sich zu schließen, als die Sirene hinter der letzten Biegung des Gangs auftauchte. Sie war so nahe, dass er sie deutlich sehen konnte – ihre langen feinen Haare, die wie in einem geisterhaften Wind wehten, ihre milchigen Augen, die ihn anstarrten, ihre schmalen knochigen Hände, die sich nach ihm ausstreckten. Es war ein grauenerregender Anblick, aber etwas anderes war noch schlimmer. Vor ihr rannten Jenna und Beetle – und sie riefen »Warte, Septimus! Warte!«
Bevor er etwas tun konnte, war die Tür zu.
Septimus merkte, dass er zitterte. Von der anderen Seite der Tür hörte er Jenna und Beetle schreien: »Hilfe! Lass uns rein!«
Er wusste, dass es nur eine Projektion war. Jenna und Beetle sahen genauso aus, wie er sie auf seinem Gedankenschirm hatte erscheinen lassen. Beetle trug die Uniform des Manuskriptoriums und nicht seinen schicken neuen Admiralsrock, den er seit Tagen ununterbrochen anhatte. Dennoch jagte Septimus die Projektion einen gewaltigen Schrecken ein. Die Sirene war mächtig – sie konnte Projektionen sprechen lassen.
Jetzt musste er schleunigst die Kammer in Gang setzen. Ohne dem Flehen der Projektionen Beachtung zu schenken, ging er zu dem orangefarbenen Pfeil, doch als er sich bückte, um darauf zu drücken, begann der Gesang der Sirene.
Septimus war wie gelähmt. Seine Hand fiel schlaff herab, und er wollte nur noch eines: diesem Gesang, dem schönsten der Welt, zuhören. Wie, so fragte er sich, hatte er ohne ihn leben können? Nichts, gar nichts, hatte ihm jemals so viel bedeutet. Er war wunderschön. Der Gesang schwebte durch die Kammer und
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