Septimus Heap 06 - Darke
ja, dachte Lucy, man brauchte einen Sattel. Mit solchen Dingern für die Füße. Aber sie hatte keinen Sattel. Ihr Vater hatte keinen gefunden, der preiswert genug war, und Donner hatte mit einer dicken Pferdedecke vorliebnehmen müssen, die Lucy sehr gefiel, weil sie mit Sternen bestickt war. Außerdem nützte sie ihm bei der Kälte viel mehr.
Lucy ließ sich nicht abschrecken. Sie war fest entschlossen, Donner zu besteigen. Sie holte eine kleine Trittleiter, die bis zur Heuraufe reichte, und stellte sie neben Donner. Sie stieg hinauf. Oben angekommen, geriet sie kurz ins Wanken, holte tief Luft und schwang sich dann auf den breiten Rücken des Rappen. Donner verlagerte nur ein wenig sein Gewicht, mehr tat er nicht. Er war ein kräftiges Pferd, und Lucy hatte das Gefühl, dass er sie kaum bemerkte.
Sie hatte recht. Donner nahm ihre Anwesenheit kaum zur Kenntnis. Er dachte an jemand anderen – an Simon.
»Verflixt!«, schimpfte jemand irgendwo auf dem Stallboden.
Lucy erkannte die Stimme sofort. »Stanley!«, rief sie und spähte von der Leiter herab nach unten. »Wo stecken Sie?«
»Hier.« Die Stimme klang ziemlich beleidigt. »Ich glaube, ich bin in etwas hineingetreten.« Eine ziemlich beleibte braune Ratte nahm mit angeekelter Miene ihre Pfote in Augenschein. »Das ist nicht sehr angenehm, wenn man keine Schuhe trägt«, klagte sie.
Lucy war ganz aufgeregt – eine Antwort von Simon, und so schnell. Aber Stanley war vollauf damit beschäftigt, seine Pfote zu inspizieren. Je schneller er den Pferdemist loswurde, überlegte Lucy, desto schneller würde sie Simons Nachricht zu hören bekommen.
»Hier«, sagte sie, »nehmen Sie mein Taschentuch.« Ein kleines lila Stoffquadrat mit rosa Tupfen und grüner Spitzenborte schwebte neben Donner nach unten. Stanley fing es auf, beäugte es verwirrt und rieb sich dann die Pfote damit ab.
»Danke«, sagte er, und mit einem überraschend flinken Satz sprang er die Trittleiter hinauf, hüpfte von dort auf Donners Rücken und landete direkt vor Lucy. Er hielt ihr das Taschentuch hin.
»Mmm, vielen Dank, Stanley«, sagte Lucy und nahm es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger. »Jetzt tragen Sie mir bitte die Nachricht vor.«
Stanley stand auf und verkündete, sich mit einer Hand an Donners rauer schwarzer Mähne festhaltend, mit seiner dienstlichen Nachrichtenübermittlungsstimme:
»Keine Nachricht erhalten. Der Empfänger war nicht erreichbar.«
»Nicht erreichbar? Was soll das heißen, nicht erreichbar?«
»Nicht erreichbar eben. Nicht anwesend, um die Nachricht entgegenzunehmen.«
»Nun, dann hatte er wahrscheinlich etwas zu erledigen. Haben Sie denn nicht gewartet? Ich habe dafür extra bezahlt, Stanley, das wissen Sie.« Lucy klang verärgert.
»Ich habe gewartet, wie vereinbart«, erwiderte Stanley pikiert. »Und weil Sie es sind, habe ich mir anschließend sogar die Mühe gemacht herumzufragen. Und dabei habe ich herausgefunden, dass es keinen Sinn gehabt hätte, noch länger zu warten. Ich habe gerade noch die letzte Fähre nach Hause bekommen.«
»Wieso keinen Sinn, noch länger zu warten?«, fragte Lucy verwirrt. »Was meinen Sie damit?«
»Dass mit Simon Heaps Rückkehr nicht zu rechnen war. Das haben mir seine Untermieter mitgeteilt.«
»Untermieter? Was für Untermieter? Simon hat keine Untermieter«, sagte Lucy bissig.
»Mit Untermietern meine ich die Ratten, die in seinem Zimmer leben.«
»Simon hat keine Ratten in seinem Zimmer«, entgegnete Lucy leicht empört.
Stanley kicherte. »Aber natürlich hat er Ratten. Jeder hat Ratten. Er hat – oder vielmehr hatte – sechs Familien unter den Fußbodendielen. Jetzt nicht mehr. Sie haben sich davongemacht, als ein widerwärtiges Etwas aufgetaucht ist und ihn mitgenommen hat. Es war reines Glück, dass ich ihnen begegnet bin. Sie suchen sich eine neue Bleibe am Hafenplatz, aber das ist nicht leicht. Die begehrtesten Häuser sind bereits voll bis oben hin mit Ratten. Sie würden nicht glauben, wie viele ...«
»Ein widerwärtiges Etwas hat ihn mitgenommen?«, unterbrach ihn Lucy bestürzt. »Was meinen Sie damit, Stanley?«
Die Ratte zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Hören Sie, ich muss nach Hause und nach meinen Rättlein sehen. Ich war den ganzen Tag fort. Weiß der Himmel, wie es in der Wohnung aussieht.« Damit wollte Stanley nach unten hüpfen, doch Lucy hielt ihn am Schwanz fest. Stanley sah sie empört an. »Unterlassen Sie das! Das ist in höchstem Maße
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