Serum
ein schweres Motorboot. Küstenwache, dachte ich, und da strich schon ein heller Suchscheinwerfer hundert Meter vor mir übers Wasser, direkt auf die Anlegestege und Asas Boot zu.
Der Scheinwerferkegel verfehlte mich um fünfzig Meter.
Die nassen Kleider zogen mich nach unten. Ich verstärkte meine Anstrengungen, tauchte unter Booten und Stegen hindurch und orientierte mich an den Lichtern am Ufer, um mich parallel zur Küste zu bewegen, doch eine Strömung zog mich aufs Meer hinaus. Die Ebbe hatte eingesetzt.
Etwas bumste gegen meine Füße.
Mist.
Ich schwamm weiter.
Wieder stieß mich etwas an, diesmal fester.
Großer Gott, dachte ich. Nur kein Hai. Nur nichts Großes, Hungriges.
Ich zwang mich zu gleichmäßigen Schwimmzügen, stellte mir vor, dass sich da in der Tiefe nur etwas ganz Harmloses befand, vielleicht eine Schildkröte, ein Delphin oder auch lediglich ein halbversunkenes Stück Treibholz.
Was immer es gewesen war, es kam nicht wieder.
Nach etwa zwanzig Minuten hielt ich mit schmerzenden Muskeln wieder aufs Ufer zu. Ich steuerte einen dunklen Flecken zwischen zwei Reihen von Straßenlaternen an und hoffte, es wäre ein leeres Grundstück.
Endlich fand ich Boden unter den Füßen, zog mich auf den Strand und rannte über den Sandstreifen in den Garten eines zweigeschossigen Bungalows. Ein Trio von umgedrehten Kajaks ruhte in einem Holzgestell, seetüchtige Modelle mit Paddeln und Rettungswesten darunter. Neben einem Propangrill standen ein paar bequeme Adirondack-Stühle und ein Picknicktisch. Der Regen trommelte immer noch unbarmherzig herab, ließ aber langsam nach. Ich überlegte, ein Kajak zu stehlen, aber auf dem Meer hätte ich keinerlei Orientierung und konnte die Strömung nicht einschätzen. Mir war kalt, und meine Muskeln schmerzten. Ich schleppte mich zur hinteren Veranda des Bungalows.
Ein einsames Licht brannte in der Küche. Sie hatte eine Glasschiebetür und schien leer zu sein. Aber neben der Spüle stand ein Stapel schmutziges Geschirr. Der Bungalow war bewohnt.
Dann fing im Haus ein Hund an zu bellen. Anscheinend ein großes Tier. Ein Deutscher Schäferhund tauchte zähnefletschend an der Glastür auf.
Ich rannte ein Stück weg, merkte aber bald, dass keine weiteren Lichter angingen. Niemand reagierte auf das wütende Gebell. Vielleicht waren die Besitzer ausgegangen.
Dann prallte ich gegen eine Wäscheleine voller Kleider, die jemand im Regen vergessen hatte.
Der Hund lugte aus einem seitlichen Fenster, doch sein Bellen drang nur gedämpft durch die Scheiben. Ich glaubte nicht, dass die Nachbarn es hören konnten. Auf der Wäscheleine hingen Sachen für eine ganze Familie. Ich wischte mir mit einem patschnassen Handtuch über Kopf, Gesicht und Arme. In einem aufflackernden Blitz sah ich, dass das Handtuch sauber blieb. Der Regen und das Meer mussten das Blut abgewaschen haben.
Doch nicht aus meinen Kleidern.
Ich nahm ein kurzärmliges Hemd mit Blumenmuster von der Leine, dazu Shorts, die ein bisschen kniffen, aber halbwegs passten. Ich schickte einen stummen Dank an die Hausbesitzer, als ich ein Paar Tennisschuhe an der Leine entdeckte. Sie waren mir zu klein, aber ohne Schnürsenkel kam ich hinein.
Der Hund tobte vor Zorn und warf sich gegen die Scheibe.
Ich transferierte Brieftasche, Schlüssel, Handy und das Plastiktütchen, das ich Asa abgenommen hatte, in die neuen Kleider. Dann stibitzte ich noch eine Dolphins-Kappe.
Ich hörte keine Sirenen mehr, nur das sanfte Plätschern des nachlassenden Regens. Der Schauplatz des Verbrechens am Kai war inzwischen sicher abgesperrt. Die Polizei würde in den Straßen nach Männern Ausschau halten, auf die die Beschreibung halbwegs passte.
Vielleicht hatte ein Phantomzeichner sogar schon eine Skizze angefertigt.
Meiner Schätzung nach war ich etwa vierhundert Meter vom Blue Conch entfernt. Ich musste versuchen, meinen Wagen zu erreichen. Die zusammengerollten alten Kleider nahm ich mit. Asas Blut und meine DNA befanden sich darauf. Selbst der dümmste Cop konnte mich aufspüren, wenn er die DNA mit einer Datenbank der Regierung abglich.
FBI-Agenten müssen ihre DNA registrieren lassen.
Also klemmte ich mir die Kleider und Schuhe unter den Arm und marschierte los. Vor dem Haus vergewisserte ich mich, dass die Straße leer war. Sie war hübsch und ruhig, schmal, gesäumt von kleinen Häusern, beschattet von Banyans und anderen Feigenbäumen. Alle Fenster waren dunkel. Ich sah keine Autoscheinwerfer, hörte keine
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