Seth, Träume und Projektionen des Bewusstseins (German Edition)
kam für die Sitzungen der erste Frühling, ein kalter, strahlender März. Miss Cunninghams Wohnungstür löste in mir ständig neue Fragen aus. Jedes Mal, wenn ich daran vorbeiging, fragte ich mich wieder: War sie dabei, ihr Bewusstsein auf eine andere Realitätsebene zu übertragen? Würde sie den Tod, wenn er sich dann ereignete, auf irgendeine bedeutende Weise überleben? Und hinter all diesen Fragen stand die eine große Frage: War Seth eine Persönlichkeit, die den Tod überlebt hatte? Und würde ich das jemals wirklich wissen?
Ich würde das Seth-Material aber nicht an den Nagel hängen, bevor ich mir darüber völlig schlüssig war. In meinen Gedanken gab es aber immer noch eine andere Möglichkeit. Angenommen, ich würde die Sitzungen aufgeben, während ich sie noch zu verstehen versuchte, und dann zum Schluss kommen, dass Seth auf jeden Fall recht hatte – und müsste dann erkennen, dass ich keine weiteren Sitzungen mehr haben könnte? Für mich wäre das von allen Möglichkeiten die schlimmste – dass ich mich vor lauter Unsicherheit von Wissen ausschließen würde. Und daher machte ich weiter.
Aber die tiefer gehenden Fragen fanden sich nun angedeutet auch in gewöhnlichen Ereignissen, während ich meinem täglichen Leben nachging. Ein neuer Frühling – die Freisetzung von Energie, das Erblühen einer Landschaft, die allem Anschein nach nur Wochen zuvor noch tot und leblos gewesen war. Das angedeutete Versprechen immer wiederkehrenden Lebens stand in traurigem Kontrast zu den wenigen Dingen, die wir über das Leben wussten, während wir fleischlich waren – und noch viel weniger, wenn wir davon befreit waren.
Ein paar Tage nach der letzten Sitzung saß ich in meinem kleine Büro in der Kunstgalerie und schaute nach draußen auf den Garten. An jenem Nachmittag konnte ich mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren. Leute kamen in die Eingangshalle und gingen wieder. Hatten sie früher schon einmal gelebt? War ihr Bewusstsein erneut geboren worden und war es wirklich etwas völlig Unabhängiges von den Abbildern, die sie zeigten?
Dann plötzlich seltsame, dumpfe Geräusche; Unruhe. Verwundert ging ich zum Fenster und konnte meinen Augen kaum trauen. Polizisten schossen auf die Stare, die immer in den Baumwipfeln genistet hatten. Große Wut entbrannte in mir. Aus meinen Augen quollen Tränen. Ich stand am Fenster und warf folgendes Gedicht hin – es ist emotional viel zu zügellos, um ästhetisch gut zu sein, aber es ist ein ausgezeichnetes Beispiel meiner damaligen Gefühle.
Rah, Rah, Rah
Wenn es etwas gibt, das mir gefällt,
dann ist‘s ein Haufen feister, gottesfürcht‘ger Männer,
die mal wieder
Stare schießen.
Ich mein‘ verrückte Männer. Los, los, los!
Lasst uns lieber musizieren und Ballons verschenken!
Was gibt‘s Besseres die Stadt zu reinigen
Als kleine Vögel peinigen?
Wir könnten einen Tag des Stars ausrufen
für unsre Hundertjahresfeier.
Die Menge könnte jauchzend johlen:
„Oh, was für Mut und Muskelkraft
es hier doch braucht, um Amseln
vor‘m Gemeindehaus zu töten!“
Ich schrieb über jenen einen Vorfall noch vier weitere Gedichte unterschiedlicher Qualität, und hinter der ganzen Geschichte lag eine herausfordernde Anerkennung des Wertes jeden Bewusstseins, egal, in welcher Gestalt. Und die tiefer liegende Frage: Warum wurde es jemals ausgelöscht, wenigstens in unseren Begriffen? Warum wurde Leben geschaffen, um dann ausgelöscht zu werden? Ich wusste schon damals, dass ich meine eigenen Antworten finden musste – wie es jeder von uns tun muss. Und doch fühlte ich mich an jenem Punkt verpflichtet, meine eigenen Erfahrungen, Seth und die Sitzungen zu hinterfragen, denn ich weigerte mich, mich hinter Selbsttäuschungen zu verstecken. Unwissentlich hatte ich begonnen, in meinen Gedichten Konzepte zu äußern, die mir helfen würden. Kurz bevor die Sitzungen begannen, kam mir die Idee für „Der Dummkopf“ als Symbol für innere Wahrheiten in den Sinn, die dem vernünftigen Geist manchmal als völliger Unsinn erscheinen oder bestenfalls als im täglichen Leben höchst unpraktisch. Ich hatte über diesen Gedanken zwei Gedichte geschrieben, und am Tag nach dem Töten der Stare schrieb ich ein weiteres:
Der Dummkopf
Der Dummkopf weint,
Und Tränen füllen seine Stiefel.
Die Leute sagen, dass er spinnt,
Weil er so weint,
Wenn Polizisten Stare schießen
Und auf die großäugigen Bäume zielen.
Der Dummkopf schwört,
dass Vögel heilig sind,
denn als
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