Settlers Creek
Überlegung.
Der Text für die Todesanzeige in der Zeitung war am schwierigsten. Unerwartet. Auf dieses Wort hatten sie sich schließlich geeinigt. Es war für die Öffentlichkeit geeignet.
Unser über alles geliebter Sohn, Bruder und Urenkel ist im Alter von nur neunzehn Jahren unerwartet von uns gegangen.
Box öffnete die Tür jetzt doch und betrat das Zimmer. Er ging zum Fenster und zog den Vorhang zur Seite, aber als nur schwachgrauer Dämmer hereinfiel, machte er das Licht an. Es hingen so viele Plakate an der Wand, daß sie wie eine Tapete wirkten – Rockbands hauptsächlich. Box konnte sie nicht auseinanderhalten, und von ihrer Musik hatte er keinen Schimmer. Das Zimmer roch nach ungewaschenen Socken, Schweiß und Testosteron, nach Alkoholdünsten als Folge langer Partynächte. Der Zustand des Zimmers brachte Liz regelmäßig auf die Palme. Deshalb betrat sie es nie mehr.
Als Mark heranwuchs, vor seiner Pubertät – sie wohnten noch in ihrem alten Haus –, war er musterhaft ordentlich. Box zog ihn sogar damit auf. Doch ungefähr mit vierzehn legte er die berühmte Kehrtwende hin und gab den Höhlenbewohner. Liz meckerte dauernd an ihm herum, Mark wehrte sich, und es gab ein paar unschöne Auftritte. Schließlich hatte Box ein Familientreffen ausgehandelt, bei dem alle sich mehr oder weniger darauf einigten, daß die Kinder mit ihren Zimmern machen konnten, was sie wollten. Liz bestand nur darauf, daß kein Müll in andere Bereiche des Hauses vordrang und keine toxischen Dämpfe aus den Zimmern entwichen. Sie nannte das »die nächste größere Pandemie ausbrüten«.
Aus Heathers Zimmer nebenan hörte er Stimmen. Ihre Freundinnen waren in der letzten Stunde eingetroffen, und jetzt redeten die drei leise und ernsthaft miteinander. Kate und Grace gingen auf Heathers frühere Schule, das St. Margaret’s College. Fast das Schlimmste an ihrem Bankrott war gewesen, den Kindern sagen zu müssen, daß sie nicht mehr auf ihre Privatschulen gehen konnten. Das Schulgeld überstieg ihre Möglichkeiten bei weitem. Mark war in der letzten Klasse gewesen, der 13. Er war bei seinen Lehrern nicht immer beliebt gewesen – er sollte sich stärker in der Schule engagieren, war der Refrain, den sie bei den Elternabenden unweigerlich zu hören bekamen. So wie Box das sah, war Mark eben schnell angeödet von öden Dingen. Als jemand, der die Highschool im wesentlichen nur zum Lunch besucht und mit sechzehn bereits wieder verlassen hatte, konnte Box sich gut in seinen Sohn einfühlen.
Mark kam in Englisch gut mit, aber sein Lieblingsfach war Sport, besonders Leichtathletik. Am besten war er über zweihundert und vierhundert Meter. Und auch beim Cricket machte er eine sehr gute Figur. Er hatte nicht viele Freunde, eigentlich nur zwei. Zu Box’ größtem Erstaunen hatte Mark bei der Schulaufführung von West Side Story mitgemacht. Er übernahm zwar keine Hauptrolle, spielte den Halbstarken in einer Streetgang aber ausgezeichnet. Er sang und tanzte in schwarzem T-Shirt und löchriger Jeans, bewegte sich elegant und fingerschnippend durch die raffinierte Choreographie, als wäre er in einem alten Michael-Jackson-Video. Das war echt sehenswert gewesen. Box hatte in der luxuriösen neuen Schulaula gesessen und so verblüfft wie begeistert zugeschaut.
Drei Mal hatte er die Aufführung besucht, zweimal davon mit Liz. Das dritte Mal war er allein hingegangen, es war die letzte Aufführung gewesen, Mark wußte nicht, daß er im Publikum sein würde, und entdeckte ihn erst, als die Lichter angingen.
Mark hatte davon gesprochen, sich auch in seinem letzten Schuljahr wieder um eine Rolle bei der Schulaufführung zu bewerben, diesmal durfte es ruhig eine größere sein. Doch dann war dieser Traum wie eine Seifenblase zerplatzt. Box hatte den Kindern die niederschmetternde Nachricht am letzten Dienstag des ersten Halbjahrs mitgeteilt. Der folgende Freitag war ihr letzter Tag, zwei Wochen später fingen sie auf der staatlichen Schule an. Wenn Box auch nur eine entfernte Möglichkeit gesehen hätte, Mark – und natürlich Heather – in der alten Schule zu belassen, er hätte alles dafür getan. Aber zwölftausend Dollar pro Jahr für jedes Kind ... daran war nicht einmal zu denken.
Die staatliche Highschool in ihrer Gegend war nicht schlecht. Das hatte er sich wieder und wieder gesagt. Der neue Direktor zog die Zügel etwas an und verbesserte den Ruf der Schule, aber Box wußte natürlich, daß der Schulwechsel ein Schritt nach
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