Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Settlers Creek

Settlers Creek

Titel: Settlers Creek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
Vom Netzwerk:
und Meeresasseln blankgefressen – irgendwas, um Pauls Tod zu bestätigen. Wie die Reliquie eines Heiligen, dachte Box: der ­Fingerknochen des heiligen Märtyrers Paulus von Governors Bay.
    Box war zu der Überzeugung gelangt, daß sein Bruder von der Strömung aus dem Hafenbecken hinaus ins offene Meer getragen worden war. Wäre er erst einmal dort angekommen, wo das Wasser die Farbe verdünnter Tinte annahm und die Strömung eine Einbahnstraße die Ostküste hoch war, gab es keine Aussicht mehr, ihn jemals zu finden.
    Ohne einen Leichnam für ein Begräbnis, ohne das kleinste Stückchen eines Leichnams hatte Pauls Grab in Box’ Augen immer etwas Theatralisches angehaftet. Es war wie die Pappfassade einer Westernstadt in einer der Fernsehserien, die er als Kind so geliebt hatte: Rauchende Colts oder Bonanza . Der Marmor war nur aufgemalt, ein in den Boden gestecktes Sperrholzbrett. Es war ganz beliebig. Die Erde darunter war leer.
***
    Nach dem Treffen mit dem Pfarrer fuhr Box die Serpentinenstraße an der Nordseite der Hügel hinab in die vor ihm liegende Stadt zurück. Leicht betäubt von den zwei Bieren, die er im Pub von Governors Bay getrunken hatte, wurde ihm jetzt klar, daß nach Marks Tod der Name Saxton in dieser Gegend bald aussterben würde. Er wandte den Blick von der Straße und schaute kurz zu der Bibel, die im Sonnenlicht auf dem verblichenen Plastik des Beifahrersitzes lag. Box stellte sich vor, wie künftige Generationen das heutige Geschehen kommentieren würden. Was würde dann vorn in diesem Buch stehen? Vermutlich etwas so Schlichtes wie »Mark Saxton, verstorben« und die Daten, geboren am, gestorben am; gekommen und gegangen. Vielleicht würden sie auch etwas schreiben, was der Wahrheit näherkam: »Hat sich das Leben genommen«. Das klang schon besser. Auf jeden Fall würde Marks Name der letzte sein: eine samenlose Frucht, die von einem verdorrten Ast herabhing.
Elf
    Als Box sein Haus betrat, fand er es voller Maori.
    Er blieb in der Wohnzimmertür stehen und schaute auf ein Meer von braunen Gesichtern. Mindestens zwanzig Leute waren im Raum. Ein paar, die in seiner Nähe standen, wandten sich neugierig nach ihm um, als wäre er ein Fremder, der sich in der Tür geirrt hatte. Auf dem Sofa stillte eine Frau ihr Kind. Die meisten lauschten der Rede eines alten Mannes. Sein braunes Gesicht war rissig wie eine Walnußschale. Er stand neben dem Kamin, in Bluejeans und einem alten Jackett mit Lederflicken auf den Ellbogen. Die Hände hatte er über den Knauf seines schweren Spazierstocks gelegt.
    Der Mann sprach auf Maori mit langen Pausen zwischen offenbar ernsten Worten. Box kamen die Pausen ebenso bedeutsam vor wie die Worte. Er beobachtete, wie der Alte sein Gewicht nach vorn auf den Stock verlagerte und feierlich zu seinen Worten nickte, wie um seinen Gefühlen Nachdruck zu verleihen. Als er eine Hand zu einer Geste erhob, sah Box, daß der Knauf des Stocks zu einem Delphin geschnitzt war, dessen gebogene Schwanzflosse unten in den Schaft überging.
    Natürlich wußte Box sofort, was los war. Liz’ Anruf bei Stephen, oder wie er jetzt heißen mochte – Tipene irgendwas –, hatte nicht nur den leiblichen Vater des Jungen auf den Plan gerufen, sondern auch seine Leute. Den ganzen verdammten Stamm. Und der schwang jetzt große Reden in seinem Haus.
    Box verstand kein Wort von dem, was der alte Mann sagte. Das war allerdings nicht die ganze Wahrheit. Man konnte nicht in diesem Land aufwachsen, ohne ein paar Wörter aufzuschnappen, die in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen waren. Kaikoura. Der alte Mann hatte das Wort öfter benutzt. Das war die Stadt, aus der Stephen – Tipene – und vermutlich die meisten seiner Leute gekommen waren. Sie lag im Norden, an der Küste, etwa vier Autostunden entfernt. Kai bedeutete Nahrung, aber koura? Er hatte keine Ahnung. Puku, ja. Wieder ein Wort, das er verstand. Das hieß Magen. Und dann hörte er den alten Mann das Wort für Enkel sagen: Mokopuna.
    Hinter ihm rauschte die Toilettenspülung. Ein paar Sekunden später öffnete sich auf der anderen Seite des Flurs eine Tür, und eine alte Frau kam aus dem Badezimmer; noch immer an ihrem Rock nestelnd, sprach sie leise vor sich hin. Sie schaute hoch und begegnete Box’ Blick. Sie runzelte die Stirn und nickte kurz.
    Er zählte rasch durch. Mit seiner Schätzung hatte er fast richtig gelegen, es befanden sich achtzehn Leute im Wohnzimmer, den alten Mann eingeschlossen, der noch immer sprach und

Weitere Kostenlose Bücher