Settlers Creek
er mit dem Fuß gegen etwas im tiefen Gras Verborgenes stieß und fast gestürzt wäre, nur ein etwas tolpatschiger Luftsprung rettete ihn. Die plötzliche Bewegung verursachte einen heftigen Schmerz in seiner geprellten Seite. Er stöhnte auf und blieb gebückt stehen, bis das Schlimmste vorüber war, sein Herz machte wilde Sätze in seiner Brust.
Als er sich an diesem Morgen anzog, hatte er die Stelle untersucht. Ein etwa faustgroßes Stück Haut hatte sich typhusgelb verfärbt. Jeder Atemzug schmerzte, und er fragte sich, ob eine Rippe gebrochen war.
Box war gegen einen großen Stein getreten, der schwarzgebrannt war. Er bog das Gras zur Seite und fand noch mehr solche Steine. Erst nach ein paar Minuten ging ihm auf, daß es sich um eine Feuerstelle handelte. Er scharrte mit seinen Stiefeln im Boden und stieß auf grob zugehauene Holzfundamente. Es war mehr ein Zimmer als ein Haus: Küche, Eß- und Schlafzimmer in einem, alles in allem nicht mehr als vier mal vier Meter groß.
Box kehrte zu der ersten Stelle zurück, hockte sich ins Gras und strich mit den Händen über die geschwärzten Flächen der Herdsteine. Er fragte sich, was eine Familie wohl bewogen haben mochte, hierherzukommen – nicht allein in ein neues Land am anderen Ende der Welt, sondern hierher, in dieses schattige, von steilen Bergen umstandene Tal. Er hob den Kopf und sah auf die dichtbewachsenen Hänge. Es konnte sein, daß die ersten Siedler dieses Land gekauft hatten, ohne es vorher gesehen zu haben. Vielleicht hatten sie ihre gesamten Ersparnisse oder irgendein bescheidenes Erbe dafür verwendet, eine Anzahlung zu leisten, noch bevor sie die Gangway zu ihrer dreimonatigen Schiffsreise betraten.
Er versuchte sich vorzustellen, wie sie hier zum erstenmal wachgeworden waren. Übermüdete Augen öffneten, um ihre neue Heimat, ihre Zukunft zu betrachten. Die sah so aus: ein überwuchertes, sonnenarmes Tal, das unter größten Anstrengungen gerodet werden mußte, und das mindestens zweimal, bevor irgend etwas wie Landwirtschaft möglich wurde. Ein halber Tagesritt zur Küste, ein weiterer Tagesritt nach Kaikoura.
Wie viele Jahre mochte es gedauert haben, bis die ersten Siedler sich von dem ernähren konnten, was auf ihrem Land wuchs, oder eine Schafherde zusammen hatten, die den Lebensunterhalt sicherte? Und er fragte sich, wie lange diese Leute zusammengepfercht in dem winzigen Haus gelebt haben mochten (und vorher unter Zeltplanen). Waren es vielleicht die Kinder dieser Siedler, die, als sie selbst Familien gegründet hatten, das größere Haus dort drüben errichteten?
Box suchte noch eine Weile herum, in der Hoffnung, einen umgestürzten Grabstein oder ein verfaultes Holzkreuz zu finden. Ein Friedhof war nirgends zu sehen, entweder gab es keinen, oder er fand ihn nur nicht. Er stellte sich vor, daß die frühen Siedler jung und oft durch ein Unglück gestorben waren. Oder, wenn sie älter wurden, an der Auszehrung durch die harte Arbeit, diesem Land etwas abzuringen. Wahrscheinlich wurden sie nach dem Tod zur Kirche in Kaikoura gebracht, um ein ordentliches Begräbnis zu bekommen. Wenn sie aber doch hier begraben worden waren, dann hatte die Vegetation alles überwuchert, was die Gräber vielleicht einst gekennzeichnet hatte. Wenn niemand da war, um den Wildwuchs im Zaum zu halten, dann hatten Matagouri-Büsche und Brombeeren sie längst verschluckt. War dem so, dann konnte Box genausogut die Nadel im Heuhaufen suchen. Er wandte sich ab und ging zu seinem Wagen.
Als er von dem Haus und den Auen wegfuhr, mußte er wieder die Furt passieren. Das Wasser war womöglich noch seichter als am Vortag, und der Toyota schaffte es ohne weiteres hindurch. Die Ladung hinter ihm knarrte und wisperte mit rostigen Stimmen, als sie sich für die lange Fahrt einrichtete.
Vierter Teil
Dreiundzwanzig
»FRISCHER HUMMER«. Die handgemalten Großbuchstaben standen in weißer, zum Teil verlaufener Farbe auf einem Brett, das an einen Telefonmasten neben dem Highway genagelt war.
Box zog sich bei dem Gedanken an Hummer der Magen zusammen. Hundert Meter weiter erhaschte er ein flüchtiges Bild eines Wohnwagens, der in einer Parkbucht stand, den blauen Ozean hinter sich.
Er brauchte zwei Kilometer, um sich zu entscheiden.
»Was soll’s«, sagte er zu Mark, bremste und fuhr auf den kiesbedeckten Randstreifen. »Man lebt schließlich nur einmal.« Er dachte darüber nach, was er eben gesagt hatte. Und zu wem. Er wußte nicht, ob er auflachen oder in Tränen
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