Sex and Crime auf Königsthronen
Flämisch, und allein mit der sächsischen Mundart und mit Bibelkunde kommt man selbst als Kurfürstentochter schlecht ins Gespräch. Vor allem aber ist sie nach wie vor – wenn auch mit verzweifeltem Beigeschmack – verliebt und will sich nicht damit abfinden, als schickes Stilmöbel herumzustehen oder nutzlose Handarbeiten zu verrichten. Der Anspruch der Teenagerbraut auf Liebesglück stört die große Politik empfindlich.
Bereits Anfang 1562, also ein halbes Jahr nach der Trauung, munkelt man in der niederländischen High Society, dass die Importprinzessin ihrem Prinzen lautstarke Szenen mache. Der Oranier verlegt sich auf seine taktische Lieblingsrolle als »der Schweiger«. Was Anna rasend macht. Sie verstrickt Wilhelm vor versammeltem Hof in Auseinandersetzungen, die in der Folge ganz Europa zu hören bekommt. Anders als Wilhelm hat Anna von Sachsen in Sachen offizielles Benehmen keine Eins verdient, und in Politikverständnis bekommt sie eine glatte Sechs. Was man ihr, da Betstunden ihr Hauptfach waren, nicht wirklich vorwerfen kann.
Schelte bekommt sie trotzdem. Vor allem von der eigenen Familie. Annas deutsche Verwandte reagieren alarmiert, zumal parallel zu Annas Querelen mit Wilhelm die Ehe einer weiteren Sachsenfürstin in die Brüche geht – dazu später mehr. Der Fall Anna geht vor – auch bei ihren deutschen Verwandten. In den bedeutenden Niederlanden gibt es für die sächsischen und hessischen Reichsfürsten nämlich mehr zu verlieren.
Im Hinblick auf den internationalen Heiratsmarkt, der über Aufstieg und Fall von Dynastien entscheidet, darf keinesfalls der Eindruck entstehen, dass lutherische Bräute made in Germany nicht funktionieren. Eine Intervention und friedensbildende Maßnahmen sind geboten.
Aus Hessen schickt Landgraf Wilhelm – der die Regierungsgeschäfte für seinen 58-jährigen, kränkelnden Papa Philipp übernommen hat – einen Kammerdiener für Anna. Offiziell als Tröster und Vertrauten. Inoffiziell dient er als Spitzel, der den Verwandten Mitteilung über Annas Betragen als Gattin macht.
Onkel August sendet aus Sachsen einen Politiker mit dem lustigen Namen Bemmelburg in gleicher Mission. In den kommenden Jahren wird Anna mehrmals um persönliche Besuche ihrer Verwandten bitten, sogar betteln. Sie will ihre Lage persönlich schildern, will Unterstützung und Trost erhalten. Stattdessen schauen nur Diener, Räte, Offiziere und Gesandte vorbei.
Deren Anweisungen sind stets die gleichen. Sollte Annas Benehmen zu wünschen übrig lassen, muss die Ehefrau zur Räson gebracht und daran erinnert werden, dass sie ihrem Gemahl »als ihrem heupt in allen christlichen sachen« Gehorsam schulde. Den Gatten Wilhelm hingegen gilt es »als heupt« mit Samthandschuhen anzufassen. Keinesfalls dürfen ihm Vorwürfe gemacht werden.
Schelte für die alberne Anna, Verständnis für den leidgeprüften Wilhelm – das bleibt das Grundmuster im Verhalten ihrer Verwandtschaft und einer jahrelangen Korrespondenz. Wilhelms Nassauer Familie ist ebenso parteiisch – was nicht verwundert. Dass die Forschung sich dieser einseitigen, zeittypischen Behandlung des Ehedramas über Jahrhunderte angeschlossen und Anna von Sachsen als halsstarrige Prinzessin verteufelt hat, schon eher.
Annas Verwandtschaft will vor allem eins: lukrative und störungsfreie Beziehungen mit Wilhelm pflegen. Und Wilhelm möchte das Gleiche. Weshalb er schon 1562 per Rundschreiben an seine deutsche Verwandtschaft versichert, alles sei »erdichtet geschrei«, vor allem das Gerücht, er betrüge seine Gattin. Dieser Darstellung wird jahrelang keiner widersprechen, obwohl alle es besser wissen.
Er sei seiner Gemahlin treu und »begegne ihr dermaßen«, schreibt der Prinz 1562, dass bald »Leipserben« dabei »abkommen« müssten. Was doch alle Gerüchte über seine Untreue und über Zank widerlegen müsse. Mit anderen Worten: Er geht regelmäßig zwecks Erbenproduktion mit Anna ins Bett. Erfolgreich. Fortpflanzungsbiologisch passt das Paar hervorragend. Wilhelm ist bekanntermaßen höchst zeugungsfähig und Anna höchst fruchtbar.
Nur ein Jahr nach der Hochzeit bringt die 17-Jährige ihr erstes Baby zur Welt. Das Mädchen stirbt – wie damals so oft – nach nur wenigen Tagen. Anna wird weiterhin mit schöner Regelmäßigkeit schwanger, wofür kurze Stippvisiten Wilhelms im Ehebett genügen. 1563 gebiert die Fürstin von Oranien Tochter Anna, Ende 1564 einen Sohn, der schon im März 1566 stirbt. 1567 kommt Sohn Moritz zur
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