Sex and Crime auf Königsthronen
nicht sagen,
wie sich eine Sache zugetragen,
sondern nur, wie sie meinen,
dass sie sich zugetragen hat.
Georg Christoph Lichtenberg, Aufklärer
Einige Wahrheiten über die von Gott eingesetzten Machthaber bleiben wie immer relativ, können nur verdeckt ausgesprochen werden und basieren gelegentlich auf Gerüchten oder ungeprüftem Tratsch. Das wissenschaftliche Schlagwort vom »Erkenntnisinteresse« setzt sich erst im 20. Jahrhundert durch. Das heißt, man sollte sich immer fragen, wer was warum über wen sagt und schreibt. Das gilt für Könige genauso wie für ihre Untertanen. Ja selbst für geniale Autoren, die im Kampf für die Freiheit anno 1800 nur das Beste im Sinn haben.
So verwandelt etwa der Sturm-und-Drang-Dichter Friedrich Schiller in seinem Meisterdrama »Don Karlos« diesen spanischen Kronprinzen des 16. Jahrhunderts in einen Widerstandskämpfer. »Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!«, fordert der Marquis von Posa in Schillers Tragödie von dem Tyrannen König Philipp II.
1787, im Jahr der Erstaufführung, sind das Sätze, die nicht von ungefähr nach Umsturz und Revolution klingen. In Frankreich bahnt sich schließlich gerade eine an, und es gibt genug Gründe, auf eine Wandlung des herrschenden Systems zu hoffen.
Schillers Umgestaltung des Königssohns zum Vor-Revolutionär hat mit den historischen Tatsachen jedoch wenig gemein.
Ein Opfer der königlichen Genlotterie – Don Carlos
Der echte Don Carlos (1545–1568) ist von Jugend an verhaltensauffällig. Ein Psychopath mit Anzeichen ererbten Schwachsinns. Beides dürfte hausgemacht gewesen sein.
Blutsverwandte Onkel und Nichten, Tanten und Cousins pflanzen sich nicht nur in der spanischen Monarchie mit unerfreulichen Folgen für das Erbgut fort, doch die Habsburger haben es in diesen Breiten über Generationen hinweg toll getrieben. Ohne Rücksicht auf Verwandtschaftsgrade. Man muss schließlich unter sich, und die ererbten Reiche müssen in der Familie bleiben.
Don Carlos’ Vorfahren stammen überwiegend aus der österreichischen Dependance des Hauses Habsburg und aus den ewig gleichen spanisch-portugiesischen Geschlechtern. Kronprinz Carlos hat nur sechs Urgroßeltern. Normalsterbliche bringen es auf 16. Seine Eltern sind Cousins ersten Grades. Ergebnis dieser Genlotterie mit zu wenigen Teilnehmern ist ein Infant, den man schwerlich als Hauptgewinn feiern kann.
Der Jüngling und Zeitgenosse des uns bekannten Wilhelm von Oranien lernt erst mit fünf Jahren sprechen. Hernach überrascht der königliche Bengel seine Umgebung nicht mit Gedankenfreiheit, sondern mit irren Einfällen. Don Carlos zeigt einen unübersehbaren Hang zum Sadismus. So brät der Prinz gern lebendige Hasen am Spieß, reißt Eidechsen den Kopf ab oder zwingt einen Schuhmacher, ein Paar handgefertigter Lederslipper, die Carlos missfallen, zu kochen und zu verspeisen. Das berichten relativ unverdächtige – weil königlich-spanische Chronisten – selbst.
Als Siebzehnjähriger stürzt Problemkind Carlos zu allem Unglück eine Treppe hinunter – vermutlich sturzbetrunken. Der Thronfolger schlägt sich den ohnehin verwirrten Schädel so schwer an, dass er künftig gehbehindert ist und zeitweise erblindet. Was seine lichten Momente weiter einschränkt.
Eine grauenhafte Operation, der man den Prinzen unterzieht, lindert seine Leiden nicht. Nachdem man ihm den Schädel aufgebohrt hat, um sein Hirn von »giftigen Säften« und gespenstischen Gedanken zu befreien, neigt Carlos zu völligem Kontrollverlust. Er geht mit der Peitsche gegen Personal und gegen junge Frauen vor, wird ein haltloser Trinker, der seine früh entwickelte Fresslust nicht mehr zu zügeln weiß. Da hilft auch das Skelett eines heiliggesprochenen Kochs nicht, das Papa Philipp seinem Juniorprinzen – zwecks Besserung und in echter Sorge um dessen Seelenheil – für einige Tage ins Bett legen lässt.
Ob schwer zu bändigen oder nicht, der triebgesteuerte arme Irre muss einem auch leid tun. Carlos selber findet das ebenfalls und fordert eine leitende Position in Philipps Palastkabinett. Sein Vater macht ihn trotz aller mentalen Probleme probehalber zum Minister. Schließlich ist der Infant sein designierter Nachfolger, von Gott erwählt und Erbe des weltweit agierenden Familienunternehmens.
Als der unberechenbare Carlos jedoch Geheimverhandlungen mit Wilhelm von Oraniens niederländischen Rebellen aufnimmt, die die Macht seines Vaters in den Niederlanden bedrohen, sperrt der König ihn weg. Wegen
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