Sex and Crime auf Königsthronen
zum Dank für die kulinarischen Genüsse lässt Franz seinen zweijährigen Dauphin François offiziell mit Englands vierjähriger Prinzessin Maria verloben. Zumindest soll das mitten auf einer Festtafel geschehen sein. Süß muss das ausgesehen haben! Zwei Königskinder halten einander zwischen Zuckerwerk und palastförmigen Torten die Patschehändchen.
Nach dem Gipfeltreffen auf dem Zeltplatz verlobt Heinrich bei einem Zwischenstopp in Flandern sein Schmuckstück Maria heimlich noch mit Spaniens Karl V. Historiker nehmen an, dass er dabei auf den Rat von Charlies Tante, also Königin Katharina, gehört hat.
Sicher ist, dass Heinrich in Sachen doppelbödiger Bündnis- und Heiratspolitik inzwischen von Europas alten Schlitzohren gelernt hat. Allerdings nicht in eigener Sache.
In der Entourage seiner Königin reist ein ehemaliges Hoffräulein seiner Schwester Maria Tudor mit, seine neue Flamme. Ihr Name: Mary Boleyn. Und der Name Boleyn wird für dynastischen Ärger sorgen.
Klingelt es bei Ihnen? Ja, diese Mary ist eine Schwester der weltberühmten Anne Boleyn. Ob Mary die ältere oder die jüngere von beiden ist, ist in der Geschichtsschreibung umstritten. Geburtsdaten von Frauen, die unterhalb der Königinnenwürde rangieren, sind zu diesen Zeiten unwichtig. Gesichert scheint, dass Heinrich in Mary Boleyn Anfang 1520 einen attraktiven Ersatz für Bessie gefunden hat.
Und – so die gängige Fama – einen erotisch völlig verdorbenen. Mary Boleyn, die als Hofdame von Heinrichs Schwester Pariser Luft geschnuppert hat, soll dort eine ganz Schlimme geworden sein.
Franz I. wird sich später brüsten, bei Mary Boleyn lange vor Heinrich am und im Ziel gewesen zu sein. Und das auch noch von hinten. So offenherzig und grob beschreibt es der Casanovakönig selbst. Er behauptet zwanzig Jahre später, dass Mary erst der Maulesel seiner Höflinge, dann seine Stute und schließlich Heinrichs abgehalftertes Mietpferd wurde.
Mary Boleyn, so hält Franz schriftlich des Weiteren fest, war »eine große Fotze von schlimmstem Ruf«.
Zweifel über den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen sind angebracht. Der Verdacht liegt nahe, dass Frankreichs Franz bei Boleyn Mary vielleicht ebenso wenig zum Zuge gekommen ist wie bei Tudor Mary, Heinrichs schöner Schwester. Natürlich dienen die drastischen Verunglimpfungen wiederum der psychologischen Kriegführung, und die Beleidigung der Boleyndame geschieht in höchster Absicht.
Wie auch immer es um Mary Boleyns Unschuld bestellt gewesen sein mag, sie bringt Heinrich auf einen neuen Geschmack in Liebesdingen. Französisches Flirten, charmante und auch drastische Zweideutigkeiten aus holdem Frauenmund erweitern das ihm bislang vertraute Repertoire. Voulez-vous coucher avec moi? , dürften für ihn von nun an keine Fremdwörter mehr gewesen sein und der gewitzten Anne Boleyn später von großem Nutzen.
In seinem besten Gelehrtenlatein hingegen verfasst Heinrich im Jahr 1521 eine hochmoralische Streitschrift für den Papst. Sie haben richtig gelesen, er kämpft pro Papst. Noch.
Der Tudor-Monarch als Ritter der Feder
Während in Londons Straßen das englische Schweißfieber ausbricht – wahrscheinlich eine Grippeform – und seine Untertanen sterben wie die Fliegen, entdeckt sich Heinrich als Krieger der Feder. Wäre er zu diesem Zeitpunkt selbst der Seuche erlegen, spräche heute kein Mensch mehr von ihm!
Spaniens junger Karl und Frankreichs Franz schlagen sich anno 1520 in Italien mal wieder die Köpfe um die Vorherrschaft ein, mal gegen den Papst, mal mit dem Papst, und Heinrich sitzt bequem in seiner Studierstube, um sich mit Gänsekiel und Tinte beim Heiligen Vater beliebt zu machen. Schlaukopf Wolsey ist dafür, er spekuliert nämlich immer noch auf die Tiara. Immerhin hat er es schon zum offiziellen Legaten des Papstes in England – also zum Unterhändler des Heiligen Vaters – gebracht. Damit ist er Diener zweier mächtiger Herren.
Eine Kampfschrift für Leo X. findet Wolsey weit kostengünstiger als einen bewaffneten Kampf in dessen Namen. Glücklicherweise kommt Bücherverfassen dem Gelehrtenehrgeiz seines Tudor-Monarchen entgegen. Es ist zudem der letzte Schrei und enorm erfolgreich.
Welche Durchschlagskraft die Macht des Wortes hat, hat Heinrich von einem deutschen Mönch gelernt. Ja, genau, von Martin Luther, der 1517 mit seinen 95 Wittenberger Thesen ganz Europa hat aufhorchen lassen. An oder besser gegen diesen richtet sich Heinrichs Schrift »Die Verteidigung der sieben
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