Sex and Crime auf Königsthronen
das, was er verpflichtet ist zu tun.
Wie alle Henkersopfer, die über genügend Geld oder großzügige Verwandte verfügen, reicht Anne ihm eine Börse mit zwanzig Pfund, damit »Mister Quickfix« – so ein englischer Spitzname für den Scharfrichter – seinen Job rasch und sauber erledigt.
Dann kniet sie im Stroh nieder und beginnt zu beten:
Oh Herr, habe Gnade mit mir, zu Gott empfehle ich meine Seele.
An Jesus Christus empfehle ich meine Seele, Herr Jesus, empfange meine Seele.
Erst jetzt, kurz vor ihrem tatsächlichen Abgang von der Bühne der Welt, zeigt Anne Anzeichen von Nervosität, schaut sich zum Henker um, man verbindet ihr die Augen. Jean Rombaud zieht lautlos sein zweischneidiges Schwert unter dem Stroh des Schafotts hervor, holt ohne innezuhalten aus – was eine Kunst ist – und trennt Annes Kopf in einem Schwung vom Leib. Eine saubere Hinrichtung, die so blitzartig geschieht, dass sich Anne Boleyns Lippen angeblich immer noch im Gebet bewegen, während ihr Kopf ins Stroh rollt.
Letzteres ist vermutlich eine Legende; wahr ist hingegen, dass man vergessen hat, einen Sarg bereitzustellen. Kopf und Rumpf der Toten werden in einer eilends herbeigebrachten Pfeilkiste verstaut und zur Towerkapelle getragen. Dort entkleiden Annes Hofdamen den Körper und legen den Kopf in den Arm der Toten. Dann wird Anne Boleyn neben ihrem Bruder in der Tower-Kapelle bestattet.
Der Augenzeuge und Boleyn-Verehrer Thomas Wyatt verewigt ihren Tod derweil in einem Gedicht mit dem Schlussreim: »The fall is grievous from aloft. And sure, circa Regna tonat.« Sinngemäß heißt das: Der Fall aus großer Höhe ist schmerzvoll und seid gewiss: Donner grollt um Englands Thron.
Der Throninhaber scheint von dem aufziehenden Gewitter rund um seinen Thron wenig mitzubekommen. Einigen Quellen zufolge schlägt Heinrich in Greenwich Tennisbälle übers Netz, während Anne den Kopf verliert. Ein Kanonenschuss, der vom Tower über die Themse abgefeuert wird, informiert ihn über das Ende seiner zweiten Gattin.
Fest steht, dass der 45-Jährige sich einen Tag nach deren Tod mit Jane Seymour verlobt, sie einen Monat später heiratet. Zwischen Verlobung und Hochzeit bekommen die Zimmerleute und Steinmetze viel zu tun. Nachdem sie drei Jahre zuvor Katharinas Granatäpfel von Kirchenbänken, Giebeldecken und Steinwappen entfernt haben, gilt es jetzt, Annes Falken zu übertünchen oder von Schlusssteinen wegzumeißeln. Ersetzt wird er durch Jane Seymours neuen Wappenvogel, einen Phoenix, der sich aus der Asche emporschwingt.
In den Wochen nach der Hochzeit gibt Heinrich sich maßloser Prasserei hin, trinkt bis zu acht Liter Bier und Wein am Tag. Vielleicht dürstet sein Gewissen?
Zumindest der Herr scheint einen heiligen Zorn auf den »Blutsäufer Heinrich« (Luthers Worte) zu haben. So jedenfalls deuten einige zeitgenössische Chronisten die weiteren Unglücksfälle, die 1536 zu Heinrichs annus horribilis machen.
Am 23. Juli stirbt überraschend sein Sohn Henry Fitzroy an der Pest. Viele haben den 16-Jährigen schon als Thronfolger gesehen, vielleicht an der Seite von Prinzessin Maria als Ehefrau. Heinrich lässt seinen geliebten Halbprinzen hastig und unzeremoniös bestatten. Er bleibt der Beerdigung fern – nicht der Pestgefahr wegen, sondern weil das Gerücht umgeht, der junge Duke habe eine Verschwörung gegen ihn vorbereitet, um auf den Thron zu gelangen. Die Rosenkriege lassen erneut grüßen. Heinrich scheint das bittere Gerücht geglaubt zu haben.
Im Herbst droht ihm dann tatsächlich ein Bürgerkrieg. Mehr als 50.000 Untertanen erheben sich im Norden Englands im Namen Christi. Es ist die größte Rebellenarmee, die sich je auf britischem Boden formiert hat.
Mit Waffen und einem Banner, das die fünf Wundmale des Gekreuzigten trägt, ziehen Adlige und Bürger gen London. Ihr Anführer ist ein Provinzjurist und aufrechter Katholik mit Namen Robert Aske. Er nennt die Revolte gegen Heinrichs brutale Kirchenreform einen »Pilgerzug der Gnade«.
Cromwells Angriff auf die über 800 Klöster und Konvente haben den Zorn der Bevölkerung erregt. Und das ist mehr als verständlich, wenn man in Quellen nachliest, wie lustvoll Cromwells Leute Heiligenschreine zerschlagen und plündern, Mönche in die Knie zwingen, verhöhnen, demütigen und erschlagen.
Sicher, bei den Visitationen der Klöster stoßen Cromwells Männer auf jede Menge gefälschte Reliquien und heilige Wunder, mit denen katholisches Kirchenpersonal den Gläubigen seit
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