Sex and Crime auf Königsthronen
kommen, muss der lutherische Landgraf sich gute Argumente ausdenken. Nur welche?
Zwei Gründe erlauben laut der neuen Bibelauslegung von Luther eine Auflösung der christlichen Ehe und eine Wiederverheiratung:
1.Hurerei und Ehebruch. Letzteren plant in Philipps Fall aber nur er selber, und Hurerei ist sein Spezialgebiet. Seine Frau hat, wie alle Geschlechtsgenossinnen ihrer Tage, faktisch kein Klagerecht dagegen. Was natürlich nicht Luthers Schuld ist.
2.»Wenn Mann oder Frau untüchtig zur Ehe ist«, ist Trennung für Luther ebenfalls tolerabel. Sprich: Wenn Impotenz beziehungsweise Unfruchtbarkeit vorliegt und das bei der Vermählung verheimlicht wird. Beides trifft auf den neunfachen Vater Philipp von Hessen und seine erste Frau erkennbar nicht zu. Somit darf Philipp sich auch keine »heimliche Ehehelferin« zwecks Kindszeugung nehmen, was Luther bei unfruchtbaren Verbindungen für zulässig hält. Auch für Frauen. Kinderlose Männer dürfen eine Gattin, die die ehelichen Pflichten mutwillig verweigert, sogar gegen eine neue eintauschen. Allerdings darf das in keinem Fall heimlich geschehen. Der trennungsbereite Gatte muss vor versammelter Gemeinde bekannt geben, dass im Ehebett permanent tote Hose ist. Sonst bestünde unzweifelhaft die Gefahr, dass Ehemänner mit der Behauptung »meine Frau lässt mich nicht ran« heimliche Zweithochzeiten feiern. Und das auch noch mit bestem Gewissen.
Das Zerrüttungsprinzip, das Luther in ganz seltenen Ausnahmefällen anerkennt, kommt für den Landgrafen überhaupt nicht infrage. Eine Trennung mit dieser Begründung verbietet beiden Gatten nämlich eine erneute Heirat. Da kann er ja gleich bei seinem üblichen Verfahren bleiben, nämlich Bordellbesuchen und einer ausgeprägten Mätressenwirtschaft. Doch beides ist Sünde und schadet seinem Ruf als Vorzeigelutheraner.
Darum will er eine heimliche Doppelehe. Polygamie – so argumentiert der pfiffige Philipp endlich im Einklang mit seinem protestantischen Berater Melanchthon – ist in der Bibel nicht ausdrücklich verboten, und Luther hat sie unter dem Stichwort »Ehehelfer« doch immerhin angedacht. Kurz: Erlaubte Bigamie sei immer noch anständiger als das, was er zuvor mit »allerlei Jungfrawen unzüchtig« getrieben habe. Armer Bruder Martin! So eine frivole Auslegung seiner Schriften zur Ehe in Christo hat er nicht gewollt.
Landgraf Philipp von Hessen gilt als Paradebeispiel eines »sexuell hyperaktiven« Mannes und Fürsten. Medizinhistoriker haben sich jahrhundertelang den Kopf darüber zerbrochen, warum der Hesse erotisch so außerordentlich umtriebig war, während es ihn zugleich so reute. Sorge ums Seelenheil lassen sie als alleinigen Grund nicht durchgehen.
Eine klassische Erklärung für das zwiespältige Lustleben stammt aus dem 19. Jahrhundert. Die Diagnose: Philipp »litt« an einer Triorchie. Zu deutsch: Er hatte drei Hoden. Entsprechend übersteigert, so mutmaßten Mediziner vor 150 Jahren, war sein Geschlechtstrieb. Und dank seiner häufigen Sexualkontakte zog der Landgraf sich eine Geschlechtskrankheit zu, woraufhin er seine Ausschweifungen bereute, auf die er aber – dank Triorchie – nicht verzichten konnte.
Da kann man nur einmal mehr sagen: Ausufernde Sexfantasien waren im verklemmten bürgerlichen 19. Jahrhundert sehr beliebt. Besonders dann, wenn man sie mit erhobenem Zeigefinger dem Adel ankreiden konnte. Aus der gleichen Epoche stammt die medizinische Legende, Napoleon habe nur ein Ei gehabt. So beschneidet man Kaiser zumindest theoretisch in Macht und Größe.
Moderne Mediziner stutzen derartige Diagnosen gern auf Normalmaß zurecht. 2004 – anlässlich von Landgraf Philipps 500. Geburtstag – haben sie eine Nachuntersuchung in Sachen Triochie vorgenommen. In den alten Berichten der landgräflichen Leibärzte ist zwar von einer außergewöhnlichen Verwachsung an den fürstlichen Genitalien die Rede, aber um einen dritten Hoden handelte es sich nicht.
Philipp von Hessen, so kann man in einer Ausgabe des Hessischen Ärzteblatts von 2004 nachlesen, litt lediglich an einer Spermatozele. Das sind Geschwülste, die sich nach einer Genitalverletzung bilden und die sich mit Samenflüssigkeit füllen. 80 Prozent aller Männer entwickeln im Laufe ihres Lebens solche Spermatozelen. Bevor Sie jetzt atemringend den Kopf schütteln: Gewöhnlich sind diese Missbildungen im Scrotalbereich mikroskopisch klein.
Nur in etwa fünf Prozent der Fälle schwellen sie so stark an, dass sie wirken wie ein
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