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Sex and Crime auf Königsthronen

Titel: Sex and Crime auf Königsthronen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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dritter Hoden. Bei Landgraf Philipp könnte das der Fall gewesen sein. Doch mehr Lust auf Lust oder mehr Potenz gehen mit der Herausbildung einer Spermatozele nicht einher. Die sexuelle Hyperaktivität des Landgrafen ist also nicht medizinisch zu begründen.
    Seine simultan vorhandene Reue schon. Sie verdankt sich zwar nicht einer Syphilis, aber einem Tripper, den seine Leibärzte wie jede Geschlechtskrankheit als »die Franzosenkrankheit« diagnostizieren und mit denselben Mitteln behandeln wie die Syphilis. Symptome eines Trippers sind unerträgliches Jucken, Schmerzen beim Wasserlassen und eitriger Ausfluss. Eine Strafe Gottes, so sieht man das anno 1600 mangels anderer Erklärungen.
    Die damals übliche Rosskur bei Geschlechtskrankheiten verschafft dem Fürsten Philipp mäßige Linderung. In einem Fass sitzend wird der Fürst hochgiftigen Quecksilberdämpfen und extrem heißen Räucherungen mit exotischem Guajakholz ausgesetzt. Das muss höllisch wehgetan und seine Bereitschaft zu Besserung befördert haben. Abstinent machen die Qualen ihn nicht.
    Um fürderhin Lust mit Frömmigkeit zu vereinen, beides in abgesegnete Bahnen zu lenken und die Ansteckungsgefahr zu minimieren, ist Bigamie somit eine fabelhafte Lösung.
    Leider kann der Skandal um den Landgrafen nicht so geheim gehalten werden wie gewünscht. Er wird ein beliebtes Tuschelthema in ganz Europa, und die Katholiken schlachten es politisch aus. Typisch Lutheraner! Lauter Heuchler.
    Die Töchter und die Enkeltöchter des Landgrafen – von denen Anna von Sachsen eine ist – werden davon kaum etwas zu hören bekommen haben. Weiblichen, insbesondere lutherischen Fürstenkindern der Renaissance wird in Sachen Sexualität nur die offizielle Version gepredigt. Also die von Bienchen, Blümchen und von Eva als Ursache aller Sünden, deren Töchtern man den Apfel vom Baum der Erkenntnis besser in mikroskopischen Schnitzelchen verabreicht. Der neuen Moral zuliebe und mit lebensfremden Folgen.
    Wie Anna von Kleve – die Braut Heinrichs VIII. – wachsen fürderhin viele protestantische Adelsjungfern in dem Glauben auf, dass man vom Küssen Kinder bekommen kann. Die schmutzigen Details sind Männersache. Das gilt mit Beginn der Gegenreformation bald auch für katholische, insbesondere spanische Jungfern.
    Damit der Landgraf Ihnen nun nicht allein wegen seines Sexualverhaltens im Gedächtnis bleibt, sei noch erwähnt, dass er in Sachen Religionspolitik Verdienste verbuchen kann, die bis heute wirksam sind. So ist er der Erfinder des evangelischen Konfirmandenunterrichts.
    Seine Landeskinder sind die Ersten, die sich mit vierzehn Jahren noch einmal und ausdrücklich für ihren protestantischen Glauben »entscheiden« dürfen. Damit nimmt der Fürst der gefürchteten protestantischen Splittergruppe der »Wiedertäufer« den Wind aus den Segeln. Die lehnen die Kindertaufe mit dem Argument ab, ein Baby könne sich unmöglich bewusst für Gott entscheiden, weshalb die Taufe ins Erwachsenenalter zu verlegen sei. Mit der Konfirmation, dem bewussten Ja zu Gott im Jugendalter, findet Philipp einen Mittelweg, der seine Landeskinder von religiösen Dummheiten abhalten soll.
    Entscheidungsfreiheit – egal für oder gegen was – ist anno 1600 beim Volk aber kaum erwünscht. Weshalb ein Nein zum lutherischen Gott im Rahmen der Konfirmation nicht gestattet und sicher so selten war wie eine Gegenstimme für Erich Honecker bei den Staatsratswahlen in der ehemaligen DDR . Immerhin macht die Einführung der Konfirmation im Hessen des 16. Jahrhunderts eine Schulung aller Kinder im Lesen und Schreiben nötig. Ein Fortschritt, den man dem Landgrafen hoch anrechnen muss. Es ist der Beginn einer allgemeinen Schulbildung. Darüber hinaus ist Philipp der Stifter und Gründer der Universität Marburg. Weshalb er den Beinamen »der Großmütige« erhält.
    Zurück zum 25-jährigen Wilhelm von Oranien und dem Reichstagsbesäufnis von 1558 in Frankfurt. Mit seinem Bekenntnis in Sachen Ehe zwecks dynastischer Fortpflanzung und in Sachen Sex zum Vergnügen ist der Prinz pragmatischer als viele scheinheilige Sünder seiner Zeit. Die Tatsache, dass er in beiden Konfessionen unterwiesen worden ist, dürfte eine Rolle gespielt haben.
    Noch eins unterscheidet den Prinzen von Fürstenkollegen wie Philipp von Hessen: Der Oranier ist peinlich darauf bedacht, dass ihm seine Konkubinenwirtschaft nie ins politische Geschäft hineinregiert. Keine Mätresse hat je Einfluss an seinem Hof erlangt, und eine

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