Sex and Crime auf Königsthronen
Wilhelmus nicht nur als Ritter Karriere macht, sondern auch als größter Casanova von Brüssel. Die gelegentlichen Begegnungen des Paares geraten zu verbalen Schlachtfesten. Hinter verschlossenen Türen. Anna von Buren weiß, was sich in ihren Kreisen gehört. Öffentlich stellt man einen Aristokraten nicht bloß und zur Rede. Verliebt, verletzt und rasend eifersüchtig – so munkeln Zeitzeugen – ist sie trotzdem.
Wilhelms Konzept der offenen Ehe
Weniger diskret als seine Frau ist Wilhelm, genannt der »Schweiger«. Ende Februar 1558 ist er dienstlich in Frankfurt am Main unterwegs. Der Prinz darf die Kaiserkrone aus Brüssel überbringen. Die deutschen Kurfürsten haben einen Nachfolger für den verwaisten Kaiserthron Karls V. gekürt: seinen in Österreich herrschenden Bruder Ferdinand I. Zwar wollte Karl auch die Kaiserwürde seinem Sohn Philipp zuschanzen, aber das wahlberechtigte deutsche Kurfürstengremium ist mit Protestanten durchsetzt und will den spanischen Erzkatholiken Philipp nicht zum Chefmonarchen. So kommt es faktisch zur Spaltung des Hauses Habsburg in eine österreichische und eine spanische Linie.
Der 25-jährige Fürst von Oranien nutzt die Kronübergabe, um engere Kontakte zu Deutschlands Kurfürsten zu knüpfen, unter denen Verwandte seiner künftigen Braut Anna von Sachsen sind. Von der Ehe von Oranien/von Sachsen ahnt man freilich noch nichts, schließlich ist Wilhelm noch mit Anna Nummer eins aus Buren verheiratet. Allerdings nicht mehr lange, genauer gesagt noch knapp einen Monat.
Wilhelm und die deutschen Fürsten kommen sich in Frankfurt bei nächtelangen Fress- und Saufgelagen näher. Man tauscht sich privat aus. Fußball ist auf dem Kontinent noch nicht in Mode – in England schon –, also landet man beim Lieblingsthema Nummer zwei: Sex.
In später Runde erklärt Jung Wilhelm seinen neuen Zechbrüdern August von Sachsen – dem Onkel seiner künftigen, zweiten Gemahlin – und Christoph von Württemberg freimütig, was er von der Ehe hält. Sie sei nur dazu bestimmt, legitime Söhne zu zeugen, ansonsten sei es keine Sünde, sich Konkubinen zu halten, meint der Oranier. Typisch Katholik! Die beiden lutherischen deutschen Reichsfürsten zeigen sich empört. So was sagt man doch nicht!
Man tut es nur und schweigt fromm darüber. In lutherischen Kreisen schweigt man besonders eisern, weil man eine neue Moral in Mode bringen will.
Tatsächlich hat Wilhelm nur ausgesprochen, was im Hochadel europaweit gang und gäbe ist. Allerdings gelten Niederlandes Aristokraten zu diesen Zeiten als besonders sittenlos.
So sittenlos wie das Gemälde »Der Garten der Lüste« von Hieronymus Bosch, das in Wilhelm von Oraniens Palast in Brüssel hängt. Darauf treiben Rudel von Nackerten es fröhlich miteinander und mit allerhand Fabelgetier. Nach einer Warnung vor der Wollust sieht das als Altarschmuck gedachte Bild nicht aus. Selbst Nönnchen mit Flagellantenriemchen als Strumpfbändern schauen höchst zufrieden und unschuldig drein. Der Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger interpretiert die muntere Pornografie als Utopie eines Liebesparadieses, der sich die Kirche doch bitte nicht verschließen möge. Man weiß doch, was in Rom los ist! Also Schluss mit verlogener Moral. Der in den Niederlanden aufgewachsene Wilhelm von Oranien dürfte wohl ähnlich gedacht haben.
Konkubinen und das Zeugen von Bastarden haben im fetten Flandern Tradition. Der Heimatchronist Jacques du Clercq schreibt dazu im 15. Jahrhundert mit schwach erhobenem Zeigefinger: »Die Sünde der Unzucht (war) stark verbreitet, insbesondere unter Prinzen und verheirateten Männern; wer die meisten Frauen gleichzeitig betrügen und täuschen konnte, galt als der angenehmste Gefährte.«
In der Tat bringen viele Flamen-Fürsten es auf stattliche Mätressenzahlen.
Herzog Philipp III. von Burgund (1396–1467) schießt mit 33 Mätressen, mit denen er nachweislich 26 Bastarde zeugt, den Vogel ab. Über ihn fällen Zeitzeugen das Urteil: »Mit der Gier seines Herzens vermehrten sich seine Vergehen. Was er wollte, geschah.« Trotzdem erhält er den Beinamen »der Gute«, und seine Vasallen ahmen ihn nach. Darunter ein Bischof von Cambrai, der siebzehn Bastarde hinterlässt.
Weil Flandern, ehemals Burgund, beispielgebend ist in Sachen Mode, Luxus und Lebensart, finden die Fürsten aus den Gebieten, die heute die Beneluxländer bilden, in deutschen Grenzregionen eifrige Nachahmer.
Herzog Johann II. von Kleve (1458–1521) etwa, erzogen in
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