Sex for One
Frau
sich sehr gelungen zur Schau stellte. Wir erkannten ver-schiedene Muster und Formen und assoziierten sie mit
Naturbildern: eine Muschel, eine Blume, eine Feige, eine
Orchidee, ja, und sogar die Kehllappen von Hühnern (die
ich inzwischen für sexy halte!). Ich sah verschiedene Arten,
die klassisch-symmetrische Möse, die barocke mit komple-xen Falten und Gehängen, eine gotische mit Spitzbögen und
skandinavisch moderne mit geraden Linien. Es gab viele
Valentinsmösen. Als wir erkannten, daß die weiblichen
Genitalien herzförmig aussehen, wenn man die äußeren
Schamlippen auseinanderzieht, bekam der Valentinstag
eine völlig andere Bedeutung.
Wir fanden erstaunliche Unterschiede, wenn man die
äußeren Falten fortzog und die Klitoris freigab. Von einem
kleinen Perlchen bis zu großen, herausstehenden Edelstei-nen war alles zu sehen. Das griechische Phallus bezieht sich
sowohl auf die Penis-wie die klitorale Eichel. Auch der
Abstand zwischen der Klitoris und der Vagina unterschied
sich erheblich. Eine Frau, deren Klitoris nahe der Öffnung
lag, meinte, sie habe allein durch Verkehr Orgasmen. Ich
dachte schon an eine neue Theorie, bis eine Frau mit der
gleichen Konstellation posierte. Sie meinte, sie brauche
klitorale Stimulierung, um zum Höhepunkt zu kommen.
Eine andere konnte ihre Klitoris nicht hervorholen. Sie war
überzeugt, sie hätte keine, bis sie mit beiden Fingern an die
Seiten preßte, aber wir konnten nur gerade eben die Spitze
dieser kleinen, schüchternen Klitoris sehen. Der Terminus
dafür ist »eingebettete Klitoris«. Sie funktionierte ganz nor-mal, obwohl sie kaum zu sehen war.
Die Vaginalöffnung war nicht einfach ein Loch, sondern
eine Höhlung mit vielen weichen rosa Falten, die bei jeder
Frau ein anderes Muster bildeten. Wir wurden uns der
unterschiedlichen Schamhaare und Farben der Genitalien
bewußt. Manche Frauen hatten dichte schwarze Büschel,
andere feine Strähnchen. Eine Frau hatte die Schamhaare
abrasiert, unsere futuristische Möse. Ihre Genitalien wirk-ten wie gemeißelt und waren wunderschön. Unsere Farben
umfaßten eine Skala von Hellrosa bis Dunkelbraun, und
eine Frau hatte eine zweifarbige Möse. Die inneren Lippen
waren dunkelbraun, umgeben von zartem Pfirsichton. Eine
andere, die dunkelbraune Genitalien und schwarzes
Schamhaar hatte, sagte, ihr Liebhaber nenne sie seine
»schwarze Orchidee«.
Den ganzen Abend unterhielten wir uns sehr angeregt.
Es gab aber auch Momente des Schweigens, wenn wir un-seren eigenen Gedanken nachhingen. Gegen Ende sah ich
eine exquisite Möse nach der anderen vor meinem inne-ren Auge vorbeiziehen. Wir schufen uns unsere eigene
Ästhetik von unseren Genitalien - keine männliche Version
von »Fotzen« und »Pussys«, sondern die Frauenversion der
Lotusblüte, die sich im Wassermannzeitalter langsam ent-faltet.
Ich zeigte die Dias vor mehr als tausend Frauen bei der
Konferenz. Als die Lichter wieder angingen, gab es langen
Beifall. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper als hätte ich
einen emotionalen Orgasmus mit einer Vielzahl von Liebha-bern. Viele Frauen drückten mir ihre Anerkennung aus.
Manche meinten, der Anblick der Fotos habe viel in ihnen
verändert. Andere hatten sich ebenfalls deformiert gefühlt.
Eine Frau bat ihren Chef am nächsten Tag um eine Gehalts-erhöhung und bekam sie auch! Sie hatte zu ihrer Weiblich-keit eine positive Einstellung gewonnen, hatte ihr Selbstver-trauen gestärkt und fand, ihr stehe jetzt mehr Geld zu.
Ein Jahr später zeichnete ich von diesen Fotos eine Serie
in Tinte und zeigte sie mit den Dias und Bildern von Mu-scheln, einer Orchidee und einem Jadehalsband. Ich fand,
es war eine so wichtige visuelle Information für Frauen, daß
ich jeder Bitte um den Vortrag nachkam. Ich machte eine
Wanderausstellung und trug meine Diabox wie eine Hohe-priesterin der heiligen Möse herum - oder aber Softporno,
je nach Blickwinkel. Der Unterschied zwischen Erotica und
Pornografie ist ganz gewiß Ansichtssache.
Ende der siebziger Jahre setzte sich die Darstellung der
weiblichen Genitalien in der Kunst allmählich durch. Bis
dahin waren Georgia O'Keeffes Blumen einfach Blumen. Sie
selbst stritt ab, daß ihre Blumenbilder Vulvas ähnelten.
Dann stürmten Judy Chicago und ihre Gruppe die Kunst-welt. Viele unbekannte Künstlerinnen schickten mir Bilder
von Mösen, darunter Selbstporträts, die von meinen Tinten-zeichnungen inspiriert waren. Ich bekam ein
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