Sex oder Lüge
Barhocker.
„Hey! Niemand darf mit einem Drink die Bar verlassen“, rief Alan ihr hinterher, als sie zwischen den Tischen und Sofas hindurch zur Bühne ging.
„Beschwer dich doch beim Manager“, rief sie zurück, stieg die Stufen hinauf und steuerte auf den Hinterausgang zu. „Ihr findet mich in meiner Garderobe.“
Sie konnte gar nicht schnell genug dorthin kommen. Der Umschlag kitzelte und kratzte an ihrer Haut, zumindest kam ihr das so vor. Sie brannte vor Ungeduld, weil sie wissen wollte, was Caleb ihr geschrieben hatte. Welche Entschuldigung hatte er dafür, dass er nicht bei ihrem Auftritt dabei gewesen war? Oder hatte er Snow Falls und Mistletoe bereits verlassen, ohne jeden Abschied, abgesehen von dem, was sie gerade in der Hand hielt?
Sie sank auf die Bank vor dem Schminktisch, trank ein Viertel ihres Drinks, stellte das Glas weg und betrachtete sich im Spiegel. Trotz des Make-ups sah man, wie rot sie geworden war.
Wieso machte es sie so aufgeregt, dass Caleb ihr eine Nachricht hinterlassen hatte? Sie hatten keine Beziehung und kannten sich kaum vierundzwanzig Stunden. Das konnte man kaum einmal als lose Bekanntschaft bezeichnen. Ja, er hatte ihr gesagt, er werde heute zur Show kommen, um zu beenden, was sie gestern Abend begonnen hatten.
Hatte er es sich anders überlegt? Hatte er ein besseres Angebot bekommen? Oder hatte er unerwartet beruflich abreisen müssen? Vielleicht war er auch früh zu Bett gegangen und lag jetzt erkältet mit Fieber in seinem Zimmer, weil sie ihn gezwungen hatte, nachts durch den Schnee zu laufen. Ihre Hand, in der sie den Umschlag hielt, zitterte.
Sie griff wieder nach ihrem Glas, nahm einen weiteren großen Schluck und riss den Umschlag auf.
Darin steckten ein Zettel aus einem Notizbuch und ein Zimmerschlüssel.
Ihr Herz klopfte wie wild, und ihr Magen zog sich zusammen, als sie den Schlüssel umklammerte, den Zettel auseinanderfaltete und das eine Wort las, das Caleb daraufgeschrieben hatte. „Komm.“
Hier im Hotelzimmer auf Candy zu warten, war keine so gute Idee gewesen. Fluchend lief Caleb während ihres Auftritts auf und ab, und als es gut eine Stunde nach dem Ende ihrer Show endlich an seiner Zimmertür klopfte, fuhr er so abrupt herum, dass er sich fast die Rückenwirbel ausrenkte.
Hatte er ihr nicht den Schlüssel gegeben? Stand jemand anders dort draußen? Wollte sie den Schlüssel jetzt nur zurückgeben, anstatt ihn zu benutzen? Ein Glück, dass er kein Kondom mit in den Umschlag gesteckt hatte.
Hastig sah er sich in seinem Zimmer um, ob nichts auf seine Identität als Max Savage hindeutete, dann ging er zur Tür. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, durch den Türspion zu sehen. Wenn es nicht Candy war, dann musste er sich eben überraschen lassen.
Als er die Tür öffnete, stand Candy in dicken Boots vor ihm. Sie trug sein Jackett vom Abend zuvor, hatte die Perücke auf und steckte noch in dem langen verführerischen Kleid, in dem sie offenbar aufgetreten war. Über einen Arm hatte sie den Parka gelegt, in der anderen Hand hielt sie dieselbe rote Sporttasche, die sie auch bei sich gehabt hatte, als Caleb ihr in der Nacht zuvor durch die Küche zum Parkplatz gefolgt war.
Ihren Gesichtsausdruck wollte er lieber nicht deuten. Sie lächelte nicht, runzelte jedoch auch nicht die Stirn. Caleb hatte keine Ahnung, ob sie jetzt ruhig oder vor Angst erstarrt war. Aber wenn er sie weiter dort auf dem Gang stehen ließ, würde er nie erfahren, was in ihr vorging.
Er trat einen Schritt zurück und ließ sie eintreten. Nach einem tiefen Durchatmen folgte sie der Aufforderung. Er ließ die Tür ins Schloss fallen, und bei dem leisen Klicken zuckte sie zusammen.
Sie ist nervös, dachte er. Und ich auch.
Egal, ob sie heute miteinander schliefen oder nicht: Diese Nervosität mussten sie loswerden.
Er trat hinter sie, räusperte sich leise, damit sie wusste, dass er ihr näher kam, und nahm ihr den Parka und die Tasche ab. Die Tasche stellte er in den Schrank, den Parka hängte er auf.
Langsam drehte sie sich zu ihm um und streifte das Jackett ab, das er ihr letzte Nacht überlassen hatte. Wortlos hielt sie es ihm hin.
Einen kurzen Moment verharrte er. Irgendwie mussten sie das Eis brechen, selbst wenn sie sich nur unterhalten würden. Als er sah, dass Candys Mundwinkel zuckte und sie eine Augenbraue hob, löste er sich aus der Starre.
Vor Anspannung hielt er die Luft an, als er ihr endlich das Jackett abnahm. Er ließ es zu Boden fallen, umfasste ihr
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