SGK272 - Lift in Luzifers Höllenwelt
unbekannt vorkam.
»Ich habe Sie schon mal gesehen«, murmelte sie.
»Das glaube ich auch. Schließlich wohnen wir unter ein
und demselben Dach. Wir sind uns auch schon begegnet. Im Korridor, im Lift...«
»Bei so vielen Menschen erinnert man sich schlecht«,
ging Susan Garon auf den Dialog ein. »Wie kamen Sie
in die Wohnung ?« Diese Frage beschäftigte sie am
meisten. Und dann begriff sie nicht, was die Frau mit ihren seltsamen
Andeutungen bezweckte.
»Ich sagte es bereits - durch die Wand .«
»Treiben Sie keine üblen Scherze mit mir !«
»Dazu habe ich keinen Grund. Bitte, kommen Sie - sehen
Sie selbst...«
Die Sprecherin machte eine halbe Drehung und deutete
in die schattige Ecke zwischen Bücherwand und Vorhang.
Susan Garon bewegte sich wie
auf Eiern. Sie hatte das Gefühl, eine Fremde in ihrer Wohnung zu sein.
Alles war so unwirklich ...
Ein Ruck ging durch ihren Körper.
Neben dem Bücherschrank - war in der Wand eine türgroße Öffnung! Sie führte in die angrenzende Wohnung, in
der gedämpftes, rötliches Licht herrschte.
Susan Garon stand wie
angewurzelt und starrte in das luxuriös eingerichtete Zimmer mit der kostbaren
Garnitur, den alten Möbeln, den Ölgemälden und den Gobelins an den Wänden.
Aber das war noch nicht alles ...
»Treten Sie ruhig näher, meine Liebe«, wurde sie von
der Nachbarwohnung aus angesprochen. Etwa fünfzehn bis zwanzig Personen waren
dort versammelt und bückten zu ihr herüber. Der sie angesprochen hatte, war ein
großer, sympathisch aussehender Mann, den Susan für einen Geschäftsmann hielt.
Alle Personen in der Nachbarwohnung waren festlich gekleidet. Die Männer im
Smoking, die Damen im feierlich langen Abendkleid.
Männer und Frauen in ihrem Alter... nein, auch jüngere
waren darunter.
»Eine Gesellschaft? Eine Party ...?« Es wurde Susan Garon überhaupt nicht bewusst ,
dass sie es war, die gesprochen hatte.
»Eine Gesellschaft, meine Liebe«, sagte die Frau
hinter ihr, die sie zu der geheimnisvollen Zwischentür geführt hatte, von der
sie bis zur Stunde keine Ahnung hatte.
Das »meine Liebe« - wenn sie angesprochen wurde - fiel
ihr schon gar nicht mehr auf.
»Eine ganz besondere Gesellschaft«, fuhr die Frau
hinter fort. »Wir treffen uns regelmäßig - alles liebe Freunde und Bekannte.
Und keiner von ihnen ist auch Ihnen wirklich fremd, wenn Sie es genau
betrachten, nicht wahr ?«
Susan Garon nickte
mechanisch.
Sie glaubte vertraute Gesichter zu sehen, Gesichter,
die ihr irgendwann schon mal begegnet waren.
Hier im Haus! Das waren alles Bewohner des
Apartmenthochhauses in der Rosewood Avenue 124!
Im Hintergrund eine gedeckte Tafel. Schwarze Kerzen
auf dem Tisch. Und eine makabre Dekoration ...
Die fiel ihr erst jetzt auf.
Neben jedem der silbernen Teller stand ein grinsender
Totenschädel...
*
»Was hat das alles zu bedeuten ?« fragte Susan Garon mit schwerer Zunge.
Wie eine Schlafwandlerin, die Augen jedoch weit und
ungläubig aufgerissen, stand sie an der Schwelle zu der Nachbarwohnung und
starrte in das große, festlich eingerichtete Zimmer.
Die Verbindungstür war wie die Wand mit der gleichen
Tapete dekoriert, so dass sie nicht auffiel. In den zwei Jahren ihres Wohnens
hier in diesem Haus hatte sie nicht entdeckt, dass ihre Wohnung während ihrer
Abwesenheit von den Nachbarn jederzeit ohne ihre Kenntnis betreten werden
konnte...
Ratlosigkeit, Verwirrung und Zorn hielten sich die
Waage.
Susan Garon war empört. Doch
sie konnte sich nicht so sehr Luft verschaffen, wie sie es gern getan hätte.
Die Neugier war stärker.
»Nichts geschieht in der Welt ohne Sinn«, fuhr die
Frau, der sie in ihrer Wohnung begegnet war, fort. »Aber so treten Sie doch
näher, meine Liebe! Sie sind uns herzlich willkommen. Übrigens - meine Name ist Francine. Und du heißt Susan, nicht wahr ?«
Eine Frechheit, mich einfach mit dem Vornamen
anzusprechen, dachte Susan Garon . Eine Erwiderung lag
ihr schon auf der Zunge. Sie wollte sich diese plumpe Vertraulichkeit, diese
Anbiederung verbitten. Doch sie brachte es nicht fertig.
»Sie sind nur von Freunden umgeben. Wir alle wollen
das Gleiche. Sie gehören jetzt zu uns .«
Susan Garon vernahm die
Stimme wie aus weiter Ferne. Es wurde ihr nicht bewusst, dass sie sich von der
Türschwelle löste und die fremde Wohnung betrat. Beinahe magnetisch zog sie die
andere Seite an.
»Erklären Sie mir doch bitte alles«, bat sie mit
schwacher Stimme.
Sie blickte in die Runde. Sie selbst konnte von
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