Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
sorgfältig angekleidet hatte. Sie hatte ein prachtvolles pflaumenfarbenes Kleid gewählt, weil sie glaubte, dass die Farbe und der sorgfältige Schnitt des Mieders ihrer Figur schmeichelten, ihre schlanke Taille betonten und das Beste aus ihrem recht durchschnittlichen Busen machten. Statt das Haar zu seinem gewohnten Knoten zu schlingen, hatte sie es offen gelassen und Mary Alice erlaubt, einige sorgfältig gewählte Strähnen mit der Lockenzange einzudrehen. Sie lächelte einem nahen, goldgerahmten Spiegel albern zu und war dankbar, dass sie noch alle Zähne hatte.
Energisch klopfte sie an die Tür.
»Kommen Sie bitte herein«, erklang eine männliche Stimme.
Seine Stimme. Sofort erinnerte sie sich an das Gefühl von seinem Kinn auf ihrem, an die Art, wie er in der Nacht zuvor ihren Namen im Dämmerlicht der Galerie gemurmelt hatte. Ihr war, als hätte sie Pudding in den Knien. Dennoch trat sie tapfer ein und zog die Tür hinter sich zu.
»Guten Morgen, Euer Gnaden.«
Er saß hinter dem Schreibtisch, unleugbar prachtvoll anzusehen. Sein Haar war in einem losen Zopf aus seinem gut geschnittenen Gesicht zurückfrisiert. Er trug ein weißes Anzughemd und ein perfekt gebundenes schwarzes Seidenhalstuch.
Aber sein Gesichtsausdruck … oje, sein Gesichtsausdruck …
»Guten Morgen«, antwortete er mit leiser Stimme.
Verschwunden war der sinnliche Mann der vergangenen Nacht. Sein silbern schimmernder Blick glitt in einer leidenschaftslosen Einschätzung über sie hinweg, und seine Lippen – nun, sie machten den Eindruck, als hätten sie nie die Wärme eines Lächelns ausgestrahlt.
Zu ihrer Überraschung saß Mrs Hazelgreaves in einem Stuhl mit hoher Rückenlehne ihm gegenüber und wirkte entschieden herrisch.
»Guten Morgen, meine Liebe.«
»Guten Morgen, Mrs Hazelgreaves.«
Offensichtlich hatte Mrs Hazelgreaves an diesem Morgen einige Zeit mit Lord Black verbracht. Sie konnte sich nur ausmalen, worüber sie gesprochen hatten. Sie bekam Atemnot.
»Ihr Kleid, meine Liebe.«
Elena schaute an sich hinab. Erst da wurde ihr bewusst, dass dunkle Streifen den Rock verschandelten, Kaffee von dem Missgeschick vorhin. Plötzlich kam sie sich furchtbar unbeholfen und ungepflegt vor.
»Ich habe leider gerade eben im Speisezimmer meinen Kaffee verschüttet, aber ich wollte Seine Gnaden nicht warten lassen.«
Mrs Hazelgreaves’ Lippen bildeten nur mehr einen Strich. Elena konnte sich schon denken, was kam, wenn Mr Jarvis dem alten Schlachtross von dem Ausdruck erzählte, der ihr herausgerutscht war. Und das würde er tun. Ganz gleich, wie sehr sie den Mann mochte, er war einer von denen, die sie im Geiste vor Monaten kläglich als die Garde zur Überwachung des guten Benehmens der Ms Whitney getauft hatte, wobei Mrs Hazelgreaves als Feldmarschall fungierte und Mr Jarvis als ergebener Leutnant. Und dann gab es noch Fußvolk im ganzen Haus, Mary Alice eingeschlossen.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, instruierte Lord Black sie über schlanke, aneinandergelegte Fingerspitzen hinweg.
Sie ließ sich auf dem Stuhl neben dem von Mrs Hazelgreaves nieder.
Lord Black nahm ebenfalls wieder Platz. »Wie Sie wissen, verlangen meine Interessen, dass ich mich größtenteils im Ausland aufhalte, obwohl ich meinen Wohnsitz in London habe.«
»Ja, Mylord.« Was immer das für Interessen waren. Niemand hatte es ihr jemals erklärt, und sie hatte nicht die Absicht, ihn danach zu fragen. Nicht, solange sein Gesicht so aussah.
»Ich werde nicht lange in London sein«, fuhr er brüsk fort. »Daher müssen gewisse Angelegenheiten sofort angesprochen und erledigt werden.«
Sie nickte. »Natürlich.«
»Eine dieser Angelegenheiten ist die Frage Ihrer Zukunft.«
Elena lächelte schwach und schnippte ein Stückchen Spitze an ihrer Kehle weg, das über ihre Haut gekratzt hatte. »Ja, darüber sollten wir sprechen.«
Sie blickte zwischen ihrem Vormund und ihrer Gesellschafterin hin und her. Der selbstgefällige Ausdruck auf Mrs Hazelgreaves Gesicht bedeutete nichts Gutes für die bevorstehende Diskussion.
»Von Mrs Hazelgreaves hörte ich, dass Sie nie ein richtiges Debüt hatten.«
Elena blinzelte. Sie hatte gedacht, dass sie all das hinter sich gelassen hätte, nachdem sie die vorausgehende Londoner Ballsaison mit der allernotwendigsten Beteiligung absolviert hatte. »Ich wurde Ihren königlichen Hoheiten Prinz Albert Edward und Prinzessin Alexandra im Juni vorgestellt.«
»Dennoch haben Sie es abgelehnt, einen eigenen Ball ausgerichtet
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