Shadow Touch
zurück und führte nun mit Amiri ein ausführliches Gespräch über das Wetter. Dieser wiederum ignorierte die Diskussion zwischen Elena und Artur geflissentlich. Es war merkwürdig, wie man nur durch eine Illusion Privatsphäre erzeugen konnte. Da dieses Gespräch die beiden Gestaltwandler jedoch ebenfalls betraf, hoffte Elena, dass sie interessierter waren, als sie sich benahmen. Artur beugte sich vor.
»Es tut mir leid«, sagte er ruhig. »Wirklich. Es gibt Leute, die uns helfen würden, aber sie können uns bis zu dem Treffen in Moskau niemals rechtzeitig erreichen.«
»Deine ... Dirk und Steele«, meinte Elena.
»Ja. Es besteht durchaus die Chance, dass sie mich bereits suchen, aber solange ich keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen kann, kann ich das nicht sicher sagen.« Er berührte ihre Schulter und sah ihr ins Gesicht. »Die Sache war bis jetzt schon hässlich und widerlich. Es wird aber noch schlimmer werden.«
»Vielen Dank«, erwiderte sie mit mildem Sarkasmus. Artur lächelte. Elena erwartete, dass er sie küssen würde, vielleicht auf die Stirn. Stattdessen aber fuhr er mit seinen behandschuhten Fingern über ihre Lippen. Elena begriff plötzlich, warum Rik und Amiri sie nicht störten; spürte, wie sie wirkten, wenn sie miteinander redeten. Ihr wurde warm und ihre Wangen brannten.
»Du könntest das Land verlassen«, sagte er zärtlich. »Wir haben noch Zeit genug, einen anderen Weg für dich zu suchen, Elena.« Er würde es tun, so gut kannte sie ihn. Er wollte unbedingt in diesen Zug einsteigen, aber er würde auch darauf verzichten, nur um ihr zu helfen, wenn sie nicht mitkäme. Er würde letztlich eine Möglichkeit finden, nach Moskau zu kommen, aber zuerst würde er ihr helfen.
»Nein«, antwortete sie. »Ich komme mit.« Sie hatte keine Wahl. Gewiss, sie hatte Geld und falsche Papiere, was genügte, um ihr ein Ticket für diese Fähre nach Japan zu verschaffen, die Artur erwähnt hatte. Aber das würde bedeuten, dass sie ihn verließ, ihn sowie Rik und Amiri, und obwohl es Gefahr bedeutete, wenn sie bei ihnen blieb, brachte sie es nicht über sich, auszubrechen und sich von ihnen zu trennen. Sie hatte Menschen gefunden, die ebenfalls anders waren, so wie sie selbst. Das konnte sie nicht aufgeben, für nichts auf der Welt.
Und wenn sie ehrlich war, empfand sie mehr als nur Freundschaft für Artur. Ihre Gefühle überstiegen alles, was für jemanden zu empfinden sie sich jemals vorgestellt hatte. Es war subtil, erregend und magischer als alle Magie, die sie bereits erlebt hatte. Und das größte Wunder war, dass sie vermutete, er könnte dasselbe empfinden. Das war doch ein wenig Gefahr wert.
Sie warteten geduldig in der Schlange hinter Amerikanern und Europäern. Artur wirkte vollkommen gelassen und unbekümmert, aber Elena schnappte ab und zu seinen Blick auf, der wie ein Geigerzähler umherzuckte und nach
Schwierigkeiten suchte. Sie versuchte es auch. Alles sah normal aus; die Menschen zogen Gepäck hinter sich her, kleine Kinder schrien und riefen und lachten mit schallender und, angesichts der Flaschen in den Händen einiger Reisender, wohl auch trunkener Zuversicht. Rik versank förmlich in seinem leichten Sommerjackett und fummelte an seiner Mütze herum. Elena hätte ihn gern gebeten, das zu lassen, es kam ihr aber zu gluckenhaft vor. Rik war zwar jünger als sie, aber darauf konnte er sicherlich verzichten. Jedenfalls vermutete sie dies. Manchmal kam er ihr so schrecklich jung vor.
Amiri dagegen wirkte, als brauchte er nichts und niemanden. Elena wusste, dass er nur bei ihnen geblieben war, weil ihn die Situation faszinierte. Vielleicht empfand er ja auch so etwas wie Pflichtgefühl, weil Artur ihn befreit hatte. Aber das war auch alles. Elena konnte es respektieren. Sie mochte Amiri und glaubte, dass er sie ebenfalls mochte. Aber sie kannte das Gefühl, nachdem man so lange allein gewesen war, plötzlich mit anderen zusammen zu sein. Es erschien ihr merkwürdig. Wie Kleidung, die zwar passte, aber irgendwie doch komisch saß, sodass sie sich dessen ständig bewusst war und sich ständig damit beschäftigte. Amiri bereitete es jedenfalls deutlich Unbehagen; sie spürte seine Anspannung, als würde er mit seinem großen, unsichtbaren Raubtierschweif um sich schlagen. Sie bemerkte es in seinen Augen, seinen geblähten Nasenflügeln. Er war eine höchst unglückliche Katze.
Die Türen öffneten sich. Artur sprach kurz mit ihrem Fahrer, der sich mit einem Nicken verabschiedete und in
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