Shadowdwellers - Frank, J: Shadowdwellers
zwischen der modernen und der traditionellen Welt. Sie war eine Frau von ungewöhnlicher und begehrenswerter Schönheit, doch laut der Tradition durfte sie ihre Würde nie aufs Spiel setzen, indem sie sich öffentlich in aufreizender Kleidung zeigte und damit auf Kritik und Ablehnung stieß. Was ihn versöhnte in diesem Moment, war, dass sich ihr Publikum auf ihn, ihren Bruder und die Leibwachen beschränkte, und sie waren es gewöhnt, beide Könige in unterschiedlichstem Aufzug zu sehen. Malaya unterhielt lediglich sich selbst und ihren Bruder, sie hatte nicht vor, den Rest der konservativen, traditionsbewussten Kultur zu schockieren.
Zumindest nicht in diesem Moment.
Malaya war sehr stolz auf ihr Erbe und auf die Traditionen ihrer Gesellschaft. Sie trug die förmliche Bekleidung sehr oft, erwartete von denen um sie herum, dass sie die Riten einhielten, und war streng religiös. Davon abgesehen hatte sie eine fortschrittliche Einstellung, die gelegentlich überdeutlich zum Ausdruck kam. Trace nahm an, dass sie diese unersättliche Gier nach weiblicher Ungezwungenheit befriedigte, indem sie Dinge tat wie … wie in kurzen, aufreizenden Kleidern zu tanzen, wenn auch ausschließlich in privater Umgebung.
Die Musik endete, und Malaya ließ sich schwer atmend in einem eleganten Schwung zu Boden sinken, die angewinkelten Beine unter sich, während sie mit den Handflächen und der Stirn den kalten Marmorfußboden in einer Geste der Unterwerfung und Achtung ihrem Bruder gegenüber berührte. Hätte Tristan getanzt, hätte er den Tanz in einer ähnlich respektvollen Pose seiner Schwester gegenüber beschlossen. Tristan strich mit seinem rubinbesetzten Platinring anerkennend über den Rand seines Kelchs.
»Verdammt will ich sein, Laya.« Er grinste, während er sich aufsetzte und in das Gewirr aus dichten, seidigen Locken griff, die sich um ihren Kopf herum auf dem Fußboden ausbreiteten. »Du wirst deinen Gatten bestimmt sprachlos machen, wenn er dich zum ersten Mal tanzen sieht. Ich wäre es, wenn ich eine so begabte Braut finden könnte.«
Malaya hob den Kopf und warf die stark gelockten Strähnen mit diesem kehligen Lachen zurück, das Trace so vertraut war.
»Das sagst du so, lieber Bruder«, neckte sie ihn, »aber keine Frau will dich überheblichen Kerl, außer sie würde sich durch besondere Geduld auszeichnen. Und sie muss auch das Kind im Manne mögen«, fügte sie spitz hinzu und ließ die gefalteten Hände in den Schoß sinken.
»Ja«, stimmte Tristan mit einem teuflischen Grinsen zu, das weiß in seinem dunklen Gesicht aufleuchtete. »Genau wie du einen Mann brauchst, der deine Besserwisserei erträgt.«
»Das einzige Wesen, das dazu fähig ist, ist mein Bruder hier«, erklärte Malaya und beugte sich vor, um ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange zu geben. Trace erkannte darin die Entschuldigung dafür, dass sie sich in der Öffentlichkeit über ihn lustig gemacht hatte, sofern man die kleine Versammlung als Öffentlichkeit bezeichnen konnte. »Ich bin also zu ewigem Junggesellentum verdammt, genau wie du.«
»Exzellenzen«, ergriff Trace das Wort und verkündete damit, dass er gekommen war.
Zwei dunkle Köpfe drehten sich gleichzeitig zu ihm um, und auf ihre Gesichter trat das gleiche Lächeln. Es war bisweilen verblüffend, wie ähnlich sie sich sahen und wie ähnlich sie sich verhielten, und genauso verstörend war es, wie unterschiedlich die Zwillinge sowohl in ihrer Meinung als auch in ihren Handlungen sein konnten.
» Ajai Trace!«, Tristan erhob sich rasch, um ihn freudig zu begrüßen, wobei sie sich gegenseitig mit großer Vertrautheit an den Unterarmen fassten. »Wo zum Licht bist du gewesen? Mal bist du an meiner Seite, und dann bist du wieder zwei Tage lang nirgends zu finden. Es ist doch gar nicht deine Art, nicht verfügbar zu sein.«
Zwei Tage.
Es war schwer zu erklären, wie die Zeit in verschiedenen Dimensionen funktionierte, und noch schwerer, es zu verstehen. Zeit war keine feste Größe. Zumindest nicht zwischen dem Lichtreich und dem Schattenreich. Die Zeit im Schattenreich war überhaupt kein stabiler Faktor. Man wusste nie genau, wie die Zeit im Lichtreich verging, wenn man dort war, egal, welche Technologie man benutzte, um sie zu messen. Was Trace in der Schattenwelt vorgekommen war wie ein Tag, waren in Wirklichkeit zwei Tage gewesen.
»Vergib mir, Tristan, aber es ging nicht anders.« Trace verschwendete keine Zeit darauf, mit dem Kanzler einen ernsten und
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