Shadowdwellers - Frank, J: Shadowdwellers
liebsten als Zeitvertreib, doch sie konnte im Dunkeln nicht lesen. Er sagte, seine Augen seien besser als ihre, und er las ihr so lange vor, wie sie wollte, wobei sie unbewusst den Klang seiner einzigartig sanften und tiefen Stimme genoss. Er war zwanghaft ordentlich und legte alles so schnell wie möglich wieder an seinen Platz zurück.
Er konnte stundenlang schweigend dasitzen und seinen Gedanken nachhängen.
Das war eine geradezu unheimliche Seite an ihm. Er konnte reglos in der Dunkelheit sitzen oder abwesend mit seinem Schwert und der seltsam gestalteten Schwertscheide spielen. Genauso gespenstisch war es, wie er es äußerst sorgfältig polierte. Er schlief in Griffweite davon, als erwartete er, dass er jeden Augenblick angegriffen wurde.
Nicht so gespenstisch, aber schaurig war es, wenn er schlief.
Er hatte Albträume.
Sie mussten grauenvoll und gewalttätig sein. Sie hatte es miterlebt. Sie hatte einen Platz in der ersten Reihe seiner nächtlichen Kämpfe, weil er darauf bestand, auf dem Fußboden ihres Schlafzimmers zu schlafen, damit er in der Nähe war, falls sie ihn brauchte. Nur dank seiner Sturheit hatte er es geschafft, gegen ihre heftige Ablehnung und die lebenslangen Lektionen in Misstrauen anzukommen. Jedes Mal, wenn er einschlief, wurde sie Zeugin seiner Erinnerungen.
Ashla hatte keinen Zweifel daran, dass es sich um seine Erinnerungen handelte. Die Verletzlichkeit, die der Schlaf mit sich brachte, war ihr wohlvertraut, ob sie wollte oder nicht. Sie hatte über den Rand der Matratze zu ihm hinuntergespäht und sich in mitfühlendem Kummer auf die Lippe gebissen, während er sich an seinem Platz hin und her geworfen hatte, als wäre er an den Boden gefesselt. Er schlief ohne Hemd, weshalb sie jeden Muskel und jede Sehne sich unter seiner Haut hatte anspannen sehen. Sein Haar wurde nass von Schweiß, und seine Haut glänzte davon. Er knirschte mit den Zähnen oder presste leise Worte in der fremden Sprache hervor.
Manchmal stieß er einen furchtbaren Schrei aus, ein Geräusch, wie sie es noch nie gehört hatte. Davon wachte er selbst auf, und sie musste sich rasch wieder hinlegen und so tun, als würde sie schlafen. Dann lauschte Ashla, wie Trace versuchte, seinen Atem und seine Gedanken zu beruhigen. Sie konnte spüren, wie sie durcheinanderwirbelten, wild und schmerzhaft, es war wie ein Kribbeln auf ihrer Haut. Dann hatte sie das Gefühl, als würde sie an einen tief verborgenen, privaten Ort vordringen, den zu betreten sie kein Recht hatte. Sie dachte an ihre eigenen geheimen Schreckensbilder und wie sie sich fühlen würde, wenn er darin plötzlich unerwartet auftauchen würde. Es war … als würde man einem völlig Fremden gestatten, einen Porno anzuschauen, in dem man die Hauptrolle gespielt hatte, als man jung gewesen war und sich eingebildet hatte, den Filmpartner zu lieben. Es war grob und peinlich, aus dem Zusammenhang gerissen und nicht besonders repräsentativ.
Ashla öffnete die Augen und blickte durch den Raum zu ihm hin. Sie stellte fest, dass er wieder vollkommen regungslos dasaß, nur dass er diesmal den Blick aufmerksam auf sie gerichtet hatte. Er drehte unbewusst den Griff seines Schwerts zwischen den Fingern, die Spitze der Scheide in den Teppich getaucht, während das Schwert blitzte und sich schwindelerregend schnell zwischen seinen flinken Fingern drehte. Ashla hätte wirklich gern gewusst, woran er dachte.
Trace spielte ein gefährliches Spiel.
Auf ungefähr drei verschiedenen Ebenen.
Zuerst war da natürlich die geistige Anstrengung, zu der er gezwungen war, um all den schlauen und bohrenden Fragen seines Schützlings auszuweichen, die ihm zu heikel erschienen, um sie zu beantworten … sowohl zu ihrem Wohl als auch zu seinem.
Zum Zweiten ging bereits sein zweiter Tag im Schattenreich zu Ende. Er würde sich selbst belügen, wenn er behaupten würde, dass er nicht bereits die Auswirkungen spürte.
Was ihn zum dritten Gefahrenpunkt brachte.
Er verengte die Augen, die er auf die anmutige blonde Ashla gerichtet hatte, als sie ihre schloss und angestrengt nachdachte … worüber auch immer. Sie hielt sich stets nah bei den Fenstern auf, so als könnte sie es nicht ertragen, in einem Raum eingeschlossen zu sein. Nicht einmal in einem, der so groß war wie dieser hier. Er nahm an, dass sie in ihrem anderen Leben nicht in Manhattan wohnte. Es sei denn, sie war unglaublich reich. Nur die sehr vermögenden Menschen konnten sich eine große Wohnung in der Stadt leisten.
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