Shadowfever: Fever Saga 5 (German Edition)
würden in diesen heiligen Hallen keine Lügen geduldet – vielleicht waren sie hier auch nicht nötig.
Barrons spähte an mir vorbei. »Ich fasse es nicht. Wir sind in der Weißen Villa. Sie führen mich hierher, als wollten Sie in einem Supermarkt einkaufen, und ich suche seit Ewigkeiten nach diesem Haus.«
»Ich dachte, du wärst schon überall gewesen.« Er war zum erstenMal hier? Oder erinnerte er sich nur nicht daran, vor langer Zeit in einer anderen Inkarnation hier gewesen zu sein?
Er drehte sich langsam um die eigene Achse und betrachtete den weißen Marmorboden, das hohe Gewölbe, die Säulen, die blitzenden Fenster, durch die ein strahlender, frostiger Wintertag zu sehen war. »Ich wusste ungefähr, wo die Villa sein müsste, aber sie sucht sich selbst aus, wann sie wem Zugang gewährt. Das ist unglaublich.« Er ging zum Fenster, um hinauszusehen, dann drehte er sich zu mir um. »Haben Sie die Bibliotheken gefunden?«
»Was für Bibliotheken?« Mir fiel es schwer, ihn anzuschauen, weil mich der grelle Wintertag hinter ihm so faszinierte. Wie oft hatte ich in diesem verschneiten Garten, umgeben von glitzernden Eisskulpturen und gefrorenen Springbrunnen, gesessen und auf ihn gewartet?
Feuer für seine Kälte. Eis für ihre Flammen.
Ich liebte diesen Flügel. Während ich aus dem Fenster starrte, erschien plötzlich die Konkubine, aber sie war in Dunst gehüllt und undeutlich an den Rändern wie eine nur schwache Erinnerung.
Sie saß auf einer Steinbank, trug ein blutrotes Kleid und Diamanten, durch die ich Schnee und die vereisten Zweige sehen konnte. Das Licht war eigenartig, als wäre alles bis auf sie in Pastell gemalt.
Ich zuckte zusammen. Der vierte Unseelie-Prinz, der geflügelte Krieg/Cruce, war gerade erschienen. Auch er war halb durchsichtig ein Überrest aus längst vergangener Zeit. An seinem Unterarm glänzte ein breiter Armreif, und an seinem Hals hing ein Amulett – ein ganz anderes als das, das Darroc getragen hatte.
Ich beobachtete erstaunt, wie sich die Konkubine erhob und ihn mit Küssen auf beide alabasterweißen Wangen begrüßte. Zwischen ihnen herrschte Zuneigung. Vor langer Zeit hatte die Frau aus meinen Träumen keine Angst vor ihm. Was hatte sich verändert? Der Prinz mit den rabenschwarzen Schwingen hielt ein Tablett in den Händen, auf dem eine einzelne Teetasse neben einer schwarzen Rose stand. Sie lachte ihn an, doch ihre Augen wirkten traurig.
Ein neues Gift, um mich zu verändern?
Der Krieg/Cruce murmelte etwas, was ich nicht verstand.
Sie nahm die Tasse entgegen. Vielleicht will ich diese Rettung gar nicht. Dennoch trank sie die Tasse in einem Zug aus.
»Der König bewahrt all seine Notizen über seine Experimente in der Weißen Villa auf. Auf diese Weise macht er sein Wissen den Mitgliedern des Dunklen Hofes unzugänglich.«
Barrons’ Stimme riss mich aus dem Tagtraum. Ich blinzelte, und die Erscheinung war verschwunden.
»Du weißt natürlich viel über den König.« Ich wollte noch mehr sagen, hatte aber mit einem Mal das Gefühl, als würde sich ein Gummiband, das an meinem Bauchnabel befestigt war, straffen und mich ans andere Ende katapultieren. Ich war zu weit und zu lange weg.
Ohne ein weiteres Wort machte ich kehrt, ließ Barrons stehen und rannte durch den Korridor. Verflogen war meine Kampfeslust. Man rief mich. Jede Faser meines Seins wurde zu einem bestimmten Ort gezogen – genau wie bei meinem letzten Besuch in diesem Haus.
»Wohin wollen Sie? Machen Sie langsam!«, rief Barrons hinter mir.
Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre es mir nicht möglich gewesen, auf ihn zu warten. Ich war aus einem bestimmten Grund hergekommen, und dieser Grund zog mich magisch an. Die schwarzen Flure des Unseelie-Königs riefen mich. Ich wollte wieder in dieses Gemach. Dieses Mal wollte ich sein Gesicht sehen. Vorausgesetzt, er hatte eins.
Ich passierte rosa-, bronze-, türkisfarbene und gelbe Flure, bis ich die schwüle Wärme des scharlachroten Flügels spürte. Ich fühlte Barrons hinter mir. Er hätte mich einholen können, denn er war schnell wie Dani und seine Männer, aber er ließ mich laufen und folgte mir.
Warum? Weil er dieselben Ahnungen hatte wie ich? Weil er alles ans Licht bringen wollte? Mein Herz pochte vor Angst, gleichzeitigwar ich erpicht darauf, es endlich hinter mich zu bringen, zu erfahren, was ich und was er war.
Plötzlich lief Barrons neben mir. Ich warf ihm einen Blick zu; er betrachtete mich voller Zorn und Lust. Er sollte
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