Shadowfever: Fever Saga 5 (German Edition)
die ich mir wünschte. Danach ritt ich auf dem uralten, allmächtigen K’Vruck und überflog meine neue Welt. Die großen schwarzen Flügel wirbelten Wind auf, der mein Haar zerzauste, und ich lachte wie eine Dämonin, während mich Pink Martinis dissonante Töne des Remix von »Qué Sera Sera« wie Cembaloklänge aus der Hölle umwehten.
Ich schlief sechzehn Stunden.
Und ich brauchte jede Minute. Die letzten drei Tage waren ein bizarrer Alptraum gewesen und hatten mich vollkommen ausgelaugt.
Gleich nach dem Aufwachen zog ich als Erstes Barrons’ Brief hervor, den ich unter das Kopfkissen gelegt hatte, und las ihn noch mal, um mich zu vergewissern, dass er am Leben war.
Dann rannte ich im Pyjama so schnell die Treppe runter, dass ich die letzten fünf Stufen auf dem Hosenboden hinunterrutschte – ich musste unbedingt nachsehen, ob der Laden wirklich ein Trümmerfeld war.
Und ich führte einen Freudentanz inmitten des Schutts auf.
Da es noch Nachmittag war und sich Barrons selten vor dem frühen Abend blicken ließ, ging ich wieder hinauf und nahm eine lange heiße Dusche. Ich machte eine Haarpackung, ein ausgiebiges Peeling und rasierte mich.
Dann lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand, streckte die Beine aus und beobachtete, wie das Wasser über den Speer, der an meinen Schenkel geschnallt war, platschte. Ich klärte meinen Kopf von allen Gedanken, während ich mich erholte.
Unglücklicherweise blieb weder mein Kopf leer, noch erholte sich mein Körper. Die Muskeln in den Beinen spannten sich an, Schultern und Nacken wurden fest, und meine Finger klopften ein Stakkato auf den Boden der Duschwanne.
Etwas nagte an mir. Sehr sogar. Jenseits des Glücksgefühls braute sich ein Unwetter zusammen.
Was konnte mich so stören? Meine Welt war trotz des ständigen Dubliner Regens strahlend blau. Wieso konnte ich nicht einfach glücklich sein? Es war ein guter Tag. Barrons lebte. Darroc war tot. Ich war nicht mehr im Spiegellabyrinth gefangen, kämpfte weder gegen die Myriaden von Monster, noch gab ich mich mit Illusionen ab.
Ich runzelte die Stirn – genau das war das Problem.
Im Augenblick war rein gar nichts falsch, abgesehen von der allgemeinen Schicksal-der-Welt-Sache, gegen die ich schon beinahe abgehärtet war.
Mit dieser Ruhe wurde ich nicht fertig. Ich hatte lange Zeit mächtig unter Druck gestanden und mit ungeheuerlichem Schmerz zu kämpfen. Irgendwie war das zur Gewohnheit geworden. Es gab mir Struktur und Antrieb, und ich hatte feste Ziele.
Doch in den letzten vierundzwanzig Stunden war mir, die ich zu hundert Prozent von Trauer und Zorn vereinnahmt gewesen war, diese Motivation genommen worden.
Barrons lebte – damit war die Trauer verpufft.
Der Mann, den ich für den Mörder meiner Schwester gehalten hatte und an dem ich unbedingt Rache üben wollte, war tot. Den berüchtigten Lord Master gab es nicht mehr.
Dieses Kapitel meines Lebens war abgeschlossen. Er würde die Unseelie nie wieder dazu anhalten, meine Welt mit Chaos und Zerstörung zu überziehen oder mich zu jagen und zu verletzen. Und ich musste nicht mehr ständig über meine Schulter spähen. Der Bastard, der mich zur Pri-ya gemacht hatte, war nicht mehr in Reichweite. Er hatte seine gerechte Strafe bekommen. Na ja … zumindest war er tot. Verdient hätte er weit Schlimmeres, wenn es nach mir gegangen wäre.
Dennoch war er die längste Zeit mein raison d’être gewesen.
Damit war auch der Hunger nach Rache gestillt.
Ich hatte mir immer einen finalen Showdown zwischen Darroc und mir vorgestellt, bei dem ich ihm den Todesstoß versetze.
Wer war jetzt mein Schurke? Wen sollte ich hassen und für Alinas Tod verantwortlich machen? Darroc jedenfalls nicht. Er hatte eine echte Schwäche für meine Schwester gehabt und sie bestimmt nicht umgebracht, und falls er doch irgendwie verantwortlich für den Mord an ihr sein sollte, dann war ihm das nicht bewusst gewesen. Nach sechs Monaten in Dublin war ich mit der Aufklärung noch keinen Schritt weitergekommen.
Und jetzt fehlte mir der Brennpunkt meiner allumfassenden Rachegedanken.
Meine Eltern befanden sich in Sicherheit und Barrons’ Obhut. Es gab niemanden mehr, den ich retten musste. Ich hatte keine unmittelbare Aufgabe und fühlte mich verloren. Orientierungslos.
Klar, ich hatte im Großen und Ganzen dieselben Ziele wie vor meinem Ausflug ins Spiegellabyrinth, bei dem alles so gründlich schiefgelaufen war, aber Kummer und Schmerz hatten mich in eine kleine Kiste
Weitere Kostenlose Bücher