Shakran
Wert auf Körperhaltung und Sprache.
Die Frau, die vor ihm stand, ließ sämtliche Alarmglocken schrillen. Ihr Blick aus diesen grünen Augen war neutral, beinahe gleichgültig. Die Waffe hielt sie in beiden Händen, die Mündung leicht gesenkt, die Ellbogen locker. Ihre Beine waren ein wenig gespreizt, das Gewicht leicht auf die Ballen verlagert. Sie stand fünf Meter von ihm entfernt, nahe genug für einen sicheren Schuss, viel zu weit entfernt für ihn, um eine sinnvolle Aktion überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Die älteren Kollegen hatten recht. Es waren die Augen. Sie zogen ihn in ihren Bann, verhinderten, dass er sich auf etwas anderes konzentrierte.
Was ihn am meisten irritierte, war, dass er spürte, wie gefährlich die Frau war, ohne dass diese Gefährlichkeit sich gegen ihn richtete.
Diese Situation widersprach allem, was er bisher gelernt hatte.
»Vielleicht sollte ich Ihnen den Grund meines Hierseins erklären, bevor es zu Missverständnissen kommt. Präsident Stanton möchte Sie und Mark Bridges sprechen. Und diesen Samson.« Er war überrascht, wie normal seine Stimme klang.
Ann entspannte sich und lächelte sogar. »In Ordnung. Wir haben Sie erwartet, Sie waren nur schneller als gedacht. Ich möchte mich für den unfreundlichen Empfang entschuldigen. Allerdings steht Mr Sonata im Moment nicht zur Verfügung. Sie müssen mit Special Agent Bridges und mir vorliebnehmen.«
Edwards blinzelte, als hätte er etwas gesehen oder an ihr wahrgenommen, das ihn überraschte oder aus dem Konzept brachte. Er fixierte Anns Waffe. »Nun, Miss Marchaut, Sie haben einen Termin im Weißen Haus. Wir vom Secret Service werden Sie sicher dorthin bringen. Ich muss Sie allerdings bitten, Ihre Waffe abzugeben.« Er zuckte mit den Schultern. »Vorschrift.«
Sie sicherte ihre Waffe und legte sie auf einen Beistelltisch. »Das scheint mir eine vernünftige Vorschrift zu sein«, meinte sie. »Ich sage Mr Bridges Bescheid. Bitte tun Sie mir den Gefallen und nennen Sie mich Mankowitz. Ihre Kollegen werden bestimmt das Haus durchsuchen wollen. Gehen wir solange in die Küche?«
Ann trug ein konservatives Kostüm, sie wirkte wie eine erfolgreiche Anwältin. In den fünfzehn Jahren, in denen Edwards diesen Job machte, waren seine Instinkte immer schärfer geworden, und sie rieten ihm nach wie vor, der Frau gegenüber vorsichtig zu sein.
Brinks und Mayers erschienen in der Tür.
Brinks, der die Aufgabe gehabt hatte, den Keller zu durchsuchen, strich sich Staub aus den Haaren und schüttelte den Kopf. »Keiner da, außer Miss Mankowitz und Mr Bridges. Wir haben das ganze Haus durchsucht. Lange können die anderen noch nicht weg sein.«
Edwards nickte. Er traute ihr nicht, irgendwie wusste er, dass sie ihn ausmanövriert hatte. Jetzt musste er nur noch herausfinden, wie.
»Sie können uns wirklich nicht sagen, wo Mr Sonata sich aufhält?«
»Doch, ich kann. Aber ich will nicht. Mr Sonata hat mit der Angelegenheit nichts zu tun.«
»Der Präsident hat mir den Auftrag erteilt ...«
Sie hob die Hand. »Mr Edwards, Sie haben den Auftrag, mich zu Präsident Stanton zu bringen, sonst niemanden. Dass Agent Bridges mich begleiten soll, ist allein Ihre Idee.«
Edwards fühlte beinahe so etwas wie einen Schock, als ihre Augen ihn fixierten.
»Sie dachten sich, bei dieser Gelegenheit kann ich gleich eine weitere Gefahrenquelle ausschalten, nicht wahr? Aber das geht über Ihren Auftrag hinaus. Mr Sonata interessiert jetzt nicht. Haben wir uns verstanden?«
Edwards zögerte, dann nickte er. »Wir haben uns verstanden.«
»Gut ...« Sie strahlte ihn an. »Haben wir nicht einen wichtigen Termin?«
77
E twas später, während der Fahrt zurück nach Washington, saß Ann Mankowitz neben Edwards im zweiten Wagen der Kolonne. Sie hatte den Kopf an die Kopfstütze gelehnt und versuchte zu entspannen. Sie war müde und gleichzeitig wie aufgedreht.
Als sie und Mark in Begleitung von Secret-Service-Leuten den langen unterirdischen Gang zum Weißen Haus entlanggingen, hatte Ann ein Gefühl von Déjà-vu. Vor über zehn Jahren war sie diesen Gang schon einmal entlanggegangen, damals mit dem Auftrag, eine Möglichkeit zu finden, unerlaubt ins Oval Office vorzudringen und eine Sprengladung anzubringen. Wie alt war sie damals gewesen? Auf jeden Fall zu jung. Jetzt war sie zu alt.
Seit damals hatte sich einiges verändert. Auf halbem Weg gab es einen Kontrollposten. Sie beobachtete, wie ihre Begleiter eine Retinaprüfung über sich
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