Shakran
Ann ihn deckte. Der Flur war leer. Sie wiederholten das bei jedem Zimmer, bis sie sich vergewissert hatten, dass tatsächlich niemand in dem Apartment war. Ann steckte ihre Waffe ein, stellte sich in die Mitte des Wohnzimmers und drehte sich langsam im Kreis. Alles war ordentlich, blitzblank. Sie ging ins Badezimmer und warf einen Blick auf Armaturen und Porzellan.
»Verdammt!«, sagte sie leise.
»Er hat aufgeräumt.«
»Hat er ...« Ann klang frustriert. »Vielleicht findet die Spurensicherung etwas. Aber ob wir das auch gebrauchen können ... Das bezweifle ich.«
»Und sein Computer?«, fragte Mark.
»Ich bezweifle erst recht, dass er so unvorsichtig ist wie Moire.«
»Ist er auch nicht«, sagte der Mann von der Spurensicherung eine halbe Stunde später.
»Kein Glück?«
Der Experte schüttelte den Kopf. »Er hat alle Daten überschrieben. Die Festplatte hat er vorher low-level-formatiert.«
»Ich habe selten einen so sauberen Ort gesehen.« Der Leiter der Spurensicherung, schmal, hager, mit einer Brille, die ihm die Ähnlichkeit mit einer Eule verlieh, stemmte die Hände in die Seite. »Der Bursche ist so gut, er könnte glatt bei mir anfangen. Wir werden in den Abflüssen etwas finden, aber nicht viel, er hat ein Reinigungsmittel verwendet. Also können wir beweisen, dass er sich hier aufgehalten hat. Aber das ist noch kein Verbrechen.«
»Danke«, meinte Ann, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und massierte sich die Schläfe. Sie ging zu Mark hinüber, der eine Korkwand studierte. Daran hingen etwa dreißig Autoschlüssel unterschiedlicher Fabrikate.
»Seltsames Hobby«, meinte Mark.
»Shakran hat keine Hobbys. Diese Schlüssel haben bestimmt irgendeine Bedeutung, ich weiß nur nicht, welche«, sagte Ann und zuckte mit den Schultern. »Wir können gehen.«
»Falls es dich beruhigt«, sagte Mark, »Shakran wird sich ärgern. Wir haben in einer Schatulle Opale im Wert von einer halben Million Dollar gefunden.«
Ann schüttelte langsam den Kopf. Sie wirkte müde. »Es geht ihm nicht um das Geld.« Sie sah zu ihm hoch. »Es ist die Legende ...«
88
I ch darf Sie beglückwünschen zu Ihrer Konstitution«, sagte Dr. Vorman und nahm Shakran die
Messmanschette ab.
»Das ist das gesunde Leben«, antwortete er und massierte sich den Arm. Er fühlte ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen, ein Effekt, der, wollte er Dr. Vorman glauben, bald vergehen würde. Es war Abend, die Praxis war geschlossen. Erst nachdem die Sprechstundenhilfe gegangen war, hatte sich der Doktor um seinen Privatpatienten gekümmert.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so schnell wieder auf den Beinen sein würden. Sie wissen, dass ich Ihnen fast vier Liter Blut geben musste?«
Shakran wusste es nicht, es war ihm sowieso egal. »Was bin ich Ihnen schuldig?«, fragte er.
»Der Tarif steht fest. Zehntausend.«
Shakran nickte. Günstig. Er richtete sich auf.
»Einen Moment noch«, meinte der Arzt. »Ich habe Krücken für Sie besorgt. Sie müssen das Bein noch schonen. Wenn Sie es belasten, besteht die Gefahr, dass die Wunde sich wieder öffnet. Ein Rollstuhl wäre eigentlich besser.«
Ein Rollstuhl. Gute Idee.
»Ich habe nichts besonders Anstrengendes vor«, antwortete Shakran mit einem leichten Lächeln.
»Gut.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo meine Waffen sind?«
Der Arzt sah auf. »Nein, keine Ahnung. Beide Schulterholster waren leer, als ich sie hereingetragen habe. Wahrscheinlich sind sie noch im Auto. Ich habe nicht danach gesucht. Ich mag keine Waffen.« Der Doktor musterte den Verband und nickte zufrieden. »Sieht alles gut aus. Ich bin der Meinung, dass man auch ohne Waffen auskommen kann ...«
»Da stimme ich Ihnen zu«, antwortete Shakran.
Der Schlag gelang nicht so präzise, wie er sollte. Der Doktor hatte wohl recht gehabt, er war wirklich noch nicht wieder fit.
Shakran beugte sich hinunter und fühlte den Puls des Arztes. Der gute Mann lebte noch. Vorsichtig humpelte Shakran zum Medikamentenschrank. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er das gefunden hatte, was er suchte. Er zog die Spritze auf und injizierte sie dem Doktor.
Dann griff er dem bewusstlosen Mann in den Mund und öffnete ihn, um sich dessen Zähne anzusehen. Perfekt, gesund. Wie erwartet. Eine der Voraussetzungen für die Rekrutierung durch den KGB.
Wenig später fand er die Adresse des Zahnarztes. Fünf Besuche in acht Jahren. Glück gehabt.
Humpelnd begab er sich zur Garage. Er verzog das Gesicht, als er das alte Blut roch.
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