Shannara II
schlanke Gestalt und belebten das tiefe Schweigen des Turms mit einem Rascheln von Seide. Sie war schön, ihr Gesicht zart und fein geschnitten, die Haut so bleich, daß sie beinahe ätherisch wirkte. Sie hatte etwas Zeitloses, als sei sie ein Wesen, das immer gewesen war und immer sein würde. Die Holzmännchen wichen zurück, als sie sich näherte, und sie schritt zwischen ihnen hindurch, ohne ihnen einen Blick zu gönnen. Ihre seltsamen, tief violetten Augen ließen die drei nicht los, die wie versteinert standen. Klein und zerbrechlich waren ihre Hände, die sich den drei Menschen entgegenstreckten. Ihre Finger krümmten sich, als wolle sie sie an sich ziehen.
»Mallenroh!« flüsterte Hebel ein zweites Mal, erregte Erwartung in der Stimme.
Sie blieb stehen. Die vollendet geschnittenen Züge zeigten keinen Ausdruck, als sie auf den alten Mann hinunterblickte. Dann wandte sie sich Eretria zu und schließlich Wil. Dem war so kalt, daß er am ganzen Leib zitterte.
»Ich bin Mallenroh«, sagte sie, und ihre Stimme war leise und fern. »Warum seid ihr hier?«
Keiner sagte etwas; sie hielten nur ihre Blicke unverwandt auf sie gerichtet. Sie wartete, dann hob sie ihre bleiche Hand.
»Die Senke ist verbotenes Gebiet. Kein Mensch darf sich da hineinwagen. Die Senke ist mein Reich, und in diesem Reich habe ich die Macht über Leben und Tod aller Lebewesen. Jenen, die meinen Gefallen finden, gewähre ich das Leben. Den anderen aber gebe ich den Tod. So ist es immer gewesen. Und so wird es immer sein.«
Wieder wanderte ihr Blick von einem zum anderen, und sie betrachtete jeden der drei mit strenger Aufmerksamkeit. Schließlich blieb ihr Blick auf Hebel ruhen.
»Wer bist du, alter Mann? Warum bist du in die Senke gekommen?«
Hebel schluckte. »Ich habe - ich habe Euch gesucht.« Seine Worte überschlugen sich. »Ich habe Euch etwas mitgebracht, Mallenroh.«
Die bleiche Hand streckte sich aus.
»Was hast du mir mitgebracht?«
Hebel nahm seinen Sack von der Schulter, öffnete ihn und kramte suchend darin herum. Gleich darauf entnahm er ihm eine glänzend polierte Holzfigur, eine kleine Statuette, die aus einem Stück Eichenholz geschnitzt war. Es war Mallenroh, so vollendet getroffen, daß es schien, als sei sie aus dem Schnitzwerk heraus ins Leben getreten. Sie nahm dem alten Mann die kleine Figur ab und betrachtete sie eingehend, während ihre schlanken Finger langsam über das glänzende Holz glitten.
»Hübsch«, sagte sie schließlich.
»Das seid Ihr«, erklärte Hebel hastig.
Sie sah ihn wieder an, und Wil war das, was er da erblickte, nicht geheuer. Das Lächeln, mit dem sie den alten Mann musterte, war dünn und kalt.
»Ich kenne dich«, sagte sie und schwieg dann, während ihre violetten Augen wieder sein verwittertes altes Gesicht musterten. »Vor langer Zeit war es, am Rande der Senke, als du noch jung warst. Eine Nacht habe ich dir gegeben…«
»Ich habe Euch nie vergessen«, flüsterte Hebel und wies rasch auf die Holzfigur. »Ich konnte mich noch genau erinnern, wie Ihr aussaht.«
Zu Hebels Füßen drückte sich Drifter auf den steinernen Boden des Turms nieder und winselte. Doch der alte Mann beachtete ihn nicht. Er hatte sich völlig in den Augen der Hexe verloren. Diese schüttelte den Kopf mit dem prachtvollen langen Haar.
»Es war eine Laune, du Törichter«, flüsterte sie.
Die Statuette in der Hand, ging sie an ihm vorüber zu Eretria. Angst schimmerte in den Augen des Mädchens, als die Hexe zu ihr trat.
»Und was hast du mitgebracht?« klang Mallenrohs Frage durch die Stille.
Eretria war sprachlos. Verzweifelt sah sie zu Wil hinüber, dann wieder auf Mallenroh. Die Hand der Hexe glitt einmal in einer Geste, die sowohl besänftigend als auch gebieterisch war, an ihren Augen vorüber.
»Du hübsches Ding«, sagte Mallenroh lächelnd. »Hast du dich selbst mitgebracht?«
Eretrias zierlicher Körper bebte.
»Ich - nein, ich - «
»Schlägt dein Herz, für diesen da?« Mallenroh wies plötzlich auf Wil. Sie drehte sich um, um den jungen Mann anzusehen. »Sein Herz schlägt für eine andere, glaube ich. Für ein Elfenmädchen vielleicht? Ist das richtig?«
Wil nickte langsam. Ihre merkwürdigen Augen hielten die seinen fest, und ihre Worte trafen ihn bestimmt und mit Nachdruck.
»Du bist es, der die Zaubersteine bei sich trägt.«
»Die Zaubersteine?« stammelte Wil.
Ihre Hände glitten wieder unter die schwarzen Gewänder.
»Zeig sie mir.«
Ihre Stimme war so zwingend, daß Wil
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