Shannara II
da braucht man nicht erst die Heilkunst zu studieren.«
Er trank den Saft ohne Widerrede. Und da merkte er plötzlich, daß seine Stiefel weg waren.
»Meine Stiefel! Was ist -?«
»Still!« warnte sie und deutete hastig zu der kleinen hölzernen Tür im vorderen Teil des Wagens. Wortlos griff sie unter sein Lager und holte die Stiefel hervor. Dann zog sie aus der Schärpe, die sie um die Hüften trug, den kleinen Lederbeutel mit den Elfensteinen.
Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung lehnte Wil sich zurück.
»Du warst den Festlichkeiten nicht ganz gewachsen«, erklärte sie mit einem Anflug von Sarkasmus in der Stimme. »Nachdem du das Bewußtsein verloren hattest, ließ Cephelo dich hier in seinen Wagen bringen. Er wollte dich gerade von diesem alten Weib entkleiden lassen, da gelang es mir, ihn davon zu überzeugen, daß das gefährlich sein könnte. Ich sagte, wenn das Fieber wieder aufgeflammt wäre, dann bestünde die Gefahr der Ansteckung. Außerdem erklärte ich ihm, daß du es als Beleidigung betrachten würdest, wenn man dir einfach deine Kleider wegnähme. Offenbar war ihm die Sache nicht allzu wichtig, denn er warf die Alte hinaus. Nachdem er dann ebenfalls gegangen war, habe ich dich gründlich durchsucht und die Elfensteine gefunden.«
Er nickte beifällig. »Du hast einen klaren Kopf behalten.«
»Was man von dir nicht behaupten kann.« Sie zog spöttisch die Brauen hoch. Dann blickte sie wieder zu der verschlossenen kleinen Tür hinüber. »Cephelo hat das alte Weib nebenan einquartiert, damit sie uns im Auge behalten kann. Ich habe den Eindruck, er ist nicht überzeugt davon, daß er über dich alles weiß, was er wissen möchte.«
Wil beugte sich vor und stützte das Kinn auf seine Hände.
»Das würde mich nicht wundern.«
»Warum sind wir dann immer noch hier - ich meine, jetzt mal abgesehen davon, daß du gestern abend zuviel getrunken hast?« wollte sie wissen. »Warum sind wir eigentlich überhaupt noch hier?«
Er streckte die Hand nach den Elfensteinen aus, und sie gab sie ihm. Er steckte den Lederbeutel wieder in seinen rechten Stiefel und zog beide Stiefel an. Dann bedeutete er ihr, sich näher zu ihm zu neigen.
»Weil wir einen Weg finden müssen, Artaq zurückzubekommen, und das geht nur, wenn wir bei diesen Leuten bleiben«, flüsterte er so laut, daß sie es trotz des Ächzens des Wagens hören konnte. »Und es hat auch noch einen anderen Grund. Die Dämonen, die uns bei Havenstead gejagt haben, halten nach zwei Leuten Ausschau - nicht nach einem ganzen Wagenzug. Vielleicht können wir sie abschütteln, wenn wir mit den Fahrensleuten reisen. Im übrigen führt unser Weg direkt nach Westen, und wir kommen auf diese Weise schneller voran als zu Fuß.«
»Schön. Aber es ist auch gefährlich, mit diesen Fahrensleuten zu reisen, Talbewohner«, entgegnete sie. »Was willst du tun, wenn wir die Wälder von Westland erreichen, und Cephelo sich noch immer weigert, dir Artaq zurückzugeben?«
Er zuckte die Schultern.
»Darüber zerbrech' ich mir den Kopf, wenn es soweit ist.«
»Immer dasselbe.« Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Du könntest doch wenigstens versuchen, mich ein bißchen mehr einzuweihen als bisher. Es ist nicht gerade beruhigend, sich auf dich verlassen zu müssen, ohne die geringste Ahnung zu haben, was du planst.«
»Da hast du recht«, stimmte er zu. »Es tut mir leid, daß ich dich gestern abend so völlig im unklaren ließ. Ich hätte dir mehr sagen sollen, bevor wir das Lager betraten, aber ich hatte mir, ehrlich gesagt, gar nicht überlegt, was ich tun wollte. Ich hab' einfach aus dem Stegreif gehandelt, als wir auf das Lager stießen.«
»Das glaube ich dir«, erwiderte sie stirnrunzelnd.
»Aber ich kann's dir jetzt erklären«, erbot er sich. »Die Fahrensleute reisen immer in Familien - das weißt du ja bereits. Das Wort 'Familie' ist etwas irreführend, denn die Mitglieder einer Familie bei den Fahrensleuten sind nicht immer blutsverwandt. Diese Leute verkaufen ihre Frauen und Kinder häufig an andere Lager oder benutzen sie als Tauschobjekte. Persönliches Eigentum in dem Sinn gibt es nicht. Jede Familie hat einen Führer - eine Vaterfigur, die sämtliche Entscheidungen trifft. Die Frauen sind den Männern untergeordnet. Das ist in den Augen der Fahrensleute die natürliche Ordnung der Dinge. Sie sind fest davon überzeugt, daß die Frauen den Männern, die sie schützen und versorgen, dienen und gehorchen müssen. Jeder, der ihr Lager
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