Shannara VII
Loch, von dem es hieß, daß es bis zum Inneren der Erde reichte. Niemand war jemals bis auf den Grund hinabgestiegen und zurückgekehrt. Niemand hatte jemals ein Licht tief genug hinunterwerfen und erkennen können, was dort war. Es war der Druidenbrunnen, der Ort, an dem sich all das angesammelt hatte, was von der Zeit und vom Schicksal übrigblieb, von der Magie und den Wissenschaften, den Lebenden und Toten, den Sterblichen und Unsterblichen. Dieser Brunnen existierte schon seit den Tagen der Feen. Er war - wie der See Hadeshorn im Tal von Shale - eine der wenigen Verbindungen zwischen den Welten des Diesseits und des Jenseits. Legenden berichteten über die schrecklichen Dinge, die dieser Brunnen verschluckt hatte, und wie er im Laufe der Jahre benutzt worden war. Bremen hatte kein Interesse an den Legenden. Er hatte schon vor langer Zeit erkannt, daß dieses Loch ein Schacht war und Magie aus Bereichen vereinigte, die keine lebende Seele jemals besucht hatte und daß tief in der Schwärze, die sein Geheimnis verschleierte, eine Macht lag, die keine Kreatur jemals herausfordern sollte.
Bremen hob die Arme und begann zu rezitieren. Seine Stimme war leise und fest, die Beschwörung kunstfertig. Bremen schaute nicht nach unten, auch nicht, als Seufzer und andere Geräusche aus der Tiefe empordrangen. Ganz leicht bewegte er seine Hände in einem Muster, das Gehorsam befahl. Er sprach die Worte ohne Zögern, denn selbst das geringste Zittern hätte seine Bemühung zunichte machen können.
Schließlich griff er zwischen die Falten seines Umhangs und holte eine Prise grünlichen Staubs hervor, den er in den Abgrund warf. Der Staub glitzerte heimtückisch, als er sich langsam ausbreitete; er schien mehr zu werden, sich zu vervielfältigen, bis aus den wenigen Körnern Tausende geworden waren. Einen Augenblick lang hingen sie in der Luft, schimmerten vor dem schwarzen Hintergrund, dann erloschen sie und waren verschwunden.
Bremen trat schnell einen Schritt zurück; er rang nach Luft und spürte, wie ihn der Mut verließ, als er sich an den kalten Stein der Turmmauer lehnte. Er hatte nicht mehr soviel Kraft wie einst. Es fehlte ihm an Entschlossenheit. Er schloß die Augen und wartete darauf, daß die Bewegungen und das Seufzen wieder abebbten. Magie war so anstrengend! Wie gerne wäre er wieder jung gewesen! Er wünschte sich, den Körper und die Entschlossenheit eines jungen Mannes zu haben. Aber er war alt und ging dem Tode entgegen.
und es war nutzlos, das Unmögliche herbeizusehnen. Er mußte mit dem auskommen, was er besaß.
Etwas kratzte an der Steinmauer unter ihm - vielleicht Klauen oder Schuppen. Sie kamen nach oben, um zu sehen, ob derjenige, der die Zauberformel gesprochen hatte, noch da war!
Bremen riß sich zusammen und stolperte durch die Tür. Er schloß sie fest hinter sich. Sein Herz klopfte wild, und sein Gesicht war von einer dünnen Schweißschicht bedeckt. Verlasse diesen Ort, flüsterte eine schroffe Stimme irgendwo von der anderen Seite der Tür, weit unten aus dem Loch. Geh sofort weg! Mit zitternden Händen befestigte Bremen die Schlösser und Ketten wieder. Dann hastete er über die engen Treppen und durch die leeren Gänge zurück zu Caerid Lock.
Kapitel 4
Bremen und Kinson Ravenlock verbrachten die Nacht in einem Wald, in einiger Entfernung von Paranor und seinen Druiden. Sie fanden einen kleinen Fichtenhain, der ihnen angemessenen Schutz gewährte, denn selbst hier mußten sie Vorsicht vor den geflügelten Jägern walten lassen, die die Nacht durchstreiften. Sie entzündeten kein Lagerfeuer, spülten nur ein bißchen Brot, Käse und Frühlingsäpfel mit Bier hinunter. Währenddessen besprachen sie die Ereignisse des Tages. Bremen informierte Kinson über die Ergebnisse seines Versuches, vor dem Druidenrat sprechen zu dürfen, und er berichtete ihm von den Gesprächen, die er mit einigen in der Festung geführt hatte. Kinson beschränkte sich darauf, mit ausdruckslosem Gesicht zu nicken und zu knurren, als Bremen von seinem fehlgeschlagenen Versuch erzählte. Der Grenzländer besaß sowohl die Geistesgegenwart als auch den Anstand, den alten Mann nicht darauf hinzuweisen, daß er genau dies vorhergesagt hatte.
Danach schliefen sie, müde von dem langen Marsch über die Ebene von Streleheim und den vielen schlaflosen Nächten zuvor. Sie wachten abwechselnd, denn sie konnten sich nicht einmal darauf verlassen, daß die Nähe der Druidenfestung sie schützen würde. Keiner von ihnen
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