Shannara VII
stören.« Er schüttelte die sehnige Hand und betrachtete das wettergegerbte Gesicht. »Ich kenne Euch, nicht wahr? Ihr habt mir schon ein oder zwei Mal eine Nachricht überbracht.«
»Nur einmal«, sagte der andere. »Und zwar vor langer Zeit. Ich wundere mich, dass Ihr Euch noch an mich erinnert. Mein Name ist Hunter Predd.«
Der Elfenkönig nickte, erinnerte sich nicht an den Namen, lächelte aber dennoch. Flugreiter gaben nicht viel auf Formalitäten, und er wollte jetzt hier auch nicht darauf bestehen. »Was habt Ihr für mich, Hunter?«
Der Flugreiter griff in sein Gewand und zog eine kurze, feine Metallkette und ein Stück Tierhaut hervor. Beides hielt er dem König hin, während er erklärte: »Vor drei Tagen bin ich auf Patrouille über die Gewässer nördlich der Insel Mesca Rho, einem Außenposten von Wing Hove, geflogen. Dabei habe ich einen Mann gefunden, der auf einer Schiffsplanke trieb. Es war kaum noch Leben in ihm, er litt an Unterkühlung und Wassermangel. Ich habe keine Ahnung, wie lange er dort draußen war, aber es muss schon eine Weile gewesen sein. Seine Augen und seine Zunge wurden ihm gewaltsam entfernt, bevor man ihn ins Wasser warf. Er trug dies.«
Er ließ die Kette baumeln, die sich als Armkettchen entpuppte, und Allardon nahm sie entgegen, betrachtete sie und erbleichte. An dem Armband hing das Wappen der Elessedils, die ausgebreiteten Äste des heiligen Ellcrys, der von einem Ring aus Blutfeuer umgeben war. Es war dreißig Jahre her, seit er dieses Armband zum letzten Mal gesehen hatte, aber er erkannte es sofort wieder.
Er richtete den Blick auf den Flugreiter. »Der Mann, den Ihr gefunden habt, trug dies?« fragte er leise.
»Am Handgelenk, ja.«
»Habt Ihr ihn erkannt?«
»Den Mann nicht, nur das Armband.«
»Gab es keine weiteren Hinweise?«
»Nur dies. Ich habe ihn sorgsam durchsucht.«
Er reichte Allardon ein Stück weiche Haut. An den Rändern war sie ausgefranst und von Wasserflecken übersät. Vorsichtig öffnete der Elfenkönig sie. Es handelte sich um eine Karte, bei der die Tinte bereits ausgeblichen und an manchen Stellen verschmiert war. Der König betrachtete sie eingehend, um herauszufinden, was er eigentlich in der Hand hielt. Er erkannte die Küste von Westland entlang der Blauen Spalte. Eine gepunktete Linie führte von Insel zu Insel in westliche und nördliche Richtung und endete an einer eigenartigen Ansammlung massiver Stacheln. Unter jeder Insel und der Kette aus Stacheln standen Namen, von denen er keinen kannte. Die Schrift der Legende war nicht zu entziffern. Die Zeichen, welche die Karte schmückten und vielleicht bestimmte Orte bezeichneten, stellten seltsame und beängstigende Wesen dar, die er nie zuvor gesehen hatte.
»Erkennt Ihr diese Zeichen?«, fragte er Hunter Predd.
Der Flugreiter schüttelte den Kopf. »Der größte Teil der Karte liegt außerhalb des Gebiets, in dem wir patrouillieren. Die Inseln sind mit den Rocks nicht zu erreichen, und ihre Namen sind mir nicht vertraut.«
Allardon trat an die hohen, mit Gardinen versehenen Fenster, durch die man hinaus in den Garten schauen konnte, und betrachtete die Blumenbeete. »Wo ist der Mann, den Ihr gefunden habt, Hunter? Lebt er noch?«
»Ich habe ihn bei dem Heiler gelassen, der in Bracken Clell dient. Als ich aufbrach, war er noch am Leben.«
»Habt Ihr sonst jemandem von diesem Armband und der Karte erzählt?«
»Niemandem außer Euch. Nicht einmal dem Heiler. Er ist mein Freund, doch ich weiß recht gut, wann Schweigen vonnöten ist.«
Allardon nickte zustimmend. »Das stimmt.«
Er ließ Gläser mit kaltem Bier und einen Krug zum Nachfüllen bringen. Während er mit dem Flugreiter darauf wartete, rasten seine Gedanken hin und her. Die geborgenen Gegenstände und ihre Geschichte machten ihn ratlos, und er war sich nicht sicher, wie er nun weiter vorgehen sollte. Das Armband hatte er wieder erkannt, und damit vermutlich auch die Identität des Mannes, dem man es abgenommen hatte. Beide hatte er seit dreißig Jahren nicht gesehen und auch nicht erwartet, ihnen jemals wieder zu begegnen. Die Karte war ihm unbekannt, doch obwohl er die Schrift nicht entziffern und die Zeichen nicht verstehen konnte, hatte er so eine Ahnung, was sie möglicherweise zeigte.
Plötzlich dachte er an seine Mutter Aine, die seit zwanzig Jahren tot war, und die Erinnerung an das Leid ihrer letzten Lebensjahre trieb ihm Tränen in die Augen.
Abwesend spielte er mit dem Armband.
Vor dreißig Jahren hatte
Weitere Kostenlose Bücher