Shannara VII
war sie allein und konnte in Ruhe arbeiten.
Der Schiffbrüchige döste auf dem Bett in seinem Zimmer, eine leichte Decke lag über seinem fiebrigen Körper, und die Vorhänge vor den Fenstern waren geschlossen. Seine Haut war mit Blasen übersät und rau, und die lindernde Salbe, die der Heiler aufgetragen hatte, glänzte feucht. Sein Körper war durch den Ernährungsmangel ausgemergelt, sein Herz schlug schwach in der Brust, und das gezeichnete Gesicht wirkte wie das eines Skeletts, denn die Lider waren tief in die Höhlen eingesunken, aus denen man die Augen entfernt hatte, und der Mund war eine vernarbte rote Wunde hinter aufgeplatzten Lippen.
Aufmerksam betrachtete ihn die Ilse-Hexe eine Zeit lang, damit ihre Augen ihr so viel wie möglich berichten konnten; sie bemerkten die deutlichen Elfenzüge, das graue Haar, demzufolge er nicht mehr jung war, und die gekrümmten Finger, die mit stillen Schreien von erduldeten Foltern sprachen. Es gefiel ihr nicht, wie sich der Mann anfühlte; man hatte ihn absichtlich leiden lassen und für Dinge ausgenutzt, die sie sich gar nicht vorstellen wollte. Auch den Geruch, den er von sich gab, mochte sie nicht, und auch nicht die leisen Geräusche. Er lebte an einem anderen Ort in einer anderen Zeit und konnte das, was er erlitten hatte, nicht vergessen.
Als sie ihn berührte, ganz sanft die schlanken, kühlen Finger auf seine Brust setzte, zuckte er zusammen wie nach einem Hieb. Rasch setzte sie ihre Magie ein und sang leise, um ihn zu beruhigen, ihm Frieden und Trost zu spenden. Der gewölbte Rücken entspannte sich langsam, und die gekrümmten Finger umklammerten nicht länger die Bettdecke. Ein Seufzen entfloh den aufgeplatzten Lippen. Für diesen Mann war Erleichterung in jeder Form willkommen, dachte sie und sang weiter, während sie sich an seiner Gegenwehr vorbei in sein Unterbewusstsein vordrängte.
Nachdem er wieder still lag, sich ihrer Fürsorge überlassen hatte und von ihr abhängig geworden war, legte sie die Hände auf den fiebrigen Körper, damit sie Gedanken und Gefühle aus ihm ziehen konnte. Das, was verschlossen in seinem Kopf lag, musste sie befreien - Erlebnisse, Mühen, Geheimnisse. Sie musste dies durch seine Sinne erreichen, aber vor allem durch seine Stimme. Dazu brauchte sie nur einen Weg zu finden, es ihn selbst wünschen zu lassen.
Am Ende war es gar nicht so schwer. Sie band ihn durch ihren Gesang, forschte währenddessen sanft, und er erzeugte diese leisen, unverständlichen Laute, zu denen er in der Lage war. Sie entzog ihm ein Ächzen, ein Murmeln, ein Keuchen nach dem anderen. Aus jedem Laut gewann sie ein Bild von dem, was er wusste, und dieses machte sie dann zu ihrem eigenen. Die Laute waren unmenschlich und voller Schmerzen, doch sie nahm sie ohne mit der Wimper zu zucken auf und badete ihn in einer Flut aus Mitgefühl, Trost und Mitleid, aus Sanftheit und dem Versprechen der Heilung.
Sprich mit mir. Lebe neu durch mich. Überlasse mir alles, was du verbirgst, und ich gebe dir Frieden.
Er gehorchte, und die Bilder waren hell, bunt und verblüffend. Ein Ozean, riesig, blau und unerforscht. Inseln, eine nach der anderen, manche grün und üppig, andere öde und felsig, doch fühlte sich jede anders an, und jede verbarg etwas Ungeheuerliches. Stürmische, verzweifelte Gefechte, in denen Waffen klirrend aufeinander prallten und Männer fielen. Gefühle von solcher Intensität, solch roher Gewalt, dass sie die Ereignisse, die sie ausgelöst hatten, in den Schatten stellten und die Narben enthüllten, die sie ihrem Besitzer hinterlassen hatten.
Schließlich sah sie Säulen aus Eis, die in den dunstigen, kühlen Himmel ragten, deren massige Formen sich bewegten und knirschten wie die Zähne eines Riesen, während ein dünner Strahl blauen Feuers, das aus der Magie der Elfensteine geboren war, durch etwas hindurchschoss, was dahinter lag. Es handelte sich um eine Ruinenstadt, die alt war und in der es von riesigen Beschützern wimmelte. Dort gab es eine Feste, begraben in der Erde und beschützt von glattem Metall und hellen roten Augen, in denen Magie funkelte…
Der Ilse-Hexe stockte der Atem bei diesem letzten Bild, einem Bild jener Magie, die der Schiffbrüchige in dieser vergrabenen Feste gefunden hatte. Diese Magie wurde durch Wörter beschworen - aber durch so viele! Deren Anzahl schien endlos zu sein und erstreckte sich aus sanften Lichtern in die Schatten, ihre Macht erhob sich in die Luft und bildete einen riesigen Baldachin, der
Weitere Kostenlose Bücher