Shannara VII
der Bergkuppe vor ihm, er kam aus dem Schein des grellen Lichts heraus und preschte mit wirbelndem Umhang und wehenden Haaren direkt auf ihn zu. Er winkte wild mit einer Hand, und ein stürmischer Schrei zerriß die Stille. Tay erkannte ihn sofort. Lächelnd winkte er eifrig zurück und trieb ebenfalls sein Pferd an. Die beiden trafen sich in einer wirbelnden Wolke aus Staub, zügelten ihre Pferde und sprangen ab, um einander zu umarmen.
»Tay Trefenwyd, so wahr ich lebe!«
Der Neuankömmling schlang die Arme um den großen, schlaksigen Tay und hob ihn wie ein Kind hoch, wirbelte ihn einmal herum und ließ ihn dann mit einem Grunzen wieder herunter.
»Schatten!« brüllte er. »Du hast wohl nur gegessen, während du fort warst! Du bist so schwer wie ein Pferd!«
Tay drückte die Hände seines besten Freundes. »Ich bin nicht schwer geworden, aber du bist schwach geworden! Faulpelz!«
Der andere erwiderte den Händedruck. »Willkommen zu Hause. Ich habe dich vermißt!«
Tay trat einen Schritt zurück, um ihn richtig betrachten zu können. Wie alle anderen hatte er auch Jerle Shannara das letzte Mal vor fünf Jahren gesehen, als er von Arborlon fortgegangen war. Aber Jerle hatte ihm am meisten gefehlt, mehr noch als seine Verwandten. Jerle war immerhin sein ältester Freund, sein ständiger Kamerad, seit sie im Westland gemeinsam ihre Kindheit und Jugend verbracht hatten. Ihm hatte er immer alles sagen können, ihm hätte er jederzeit sein Leben anvertraut. Die Bande waren früh geknüpft worden und hatten selbst die Jahre ihrer Trennung überstanden, als Tay nach Paranor gegangen und Jerle in Arborlon geblieben war. Als direktem Cousin von Courtann Ballindarroch war es Jerle seit der Geburt vorherbestimmt, dem Thron zu dienen.
Und Jerle Shannara war ein geborener Krieger. Für einen Elf besaß er eine beachtliche körperliche Ausstrahlung, er war wuchtig und hatte kräftige Glieder, katzenschnelle Reflexe, die seiner Größe spotteten, und die Instinkte eines Kämpfers. Schon als er kaum alt genug zum Laufen gewesen war, hatte er sich im Umgang mit Waffen geübt. Er liebte den Kampf und war gefesselt von der Aufregung und der Herausforderung einer Schlacht. Aber er besaß sehr viel mehr als nur körperliche Stärke und Größe. Er war schnell im Denken. Er war schlau. Er war ein unerbittlicher Gegner. Sein Pflichtbewußtsein war außerordentlich. Niemals erwartete er von sich weniger als das Beste, ganz gleich, wie wichtig die Aufgabe war oder ob es jemand bemerken würde. Am wichtigsten war jedoch, daß Jerle Shannara keine Angst hatte. Es lag an seinem Blut oder an der Art, wie er aufgewachsen war, oder vielleicht auch an beidem, aber Tay hatte niemals erlebt, daß sein Freund sich vor irgend etwas fürchtete.
Sie mußten ein merkwürdiges Paar abgeben, dachte er. Zwar waren sie etwa gleich groß und sahen ähnlich aus - beide waren größer als der Durchschnitt, blond und langgliedrig -, aber dennoch waren sie völlig verschieden. Tay war gelassener und in schwierigen Situationen kompromißbereiter; Jerle war leicht aufgebracht und unerträglich trotzig, wenn es darum ging, in einem Streit einen Rückzieher zu machen. Tay war vergeistigt, fasziniert von schwierigen Fragen und komplizierten Rätseln, die ihn herausforderten und verwirrten; Jerle betonte das Körperliche, er zog die Herausforderung im Sport und im Kampf vor, verließ sich auf schnelle Antworten und Intuition. Tay hatte immer gewußt, daß er reisen und bei den Druiden auf Paranor studieren würde; Jerle hatte immer gewußt, daß er Befehlshaber der Elfengarde werden würde, der Eliteeinheit der Elfenjäger, die den König und seine Familie beschützten. Sie besaßen also reichlich unterschiedliche Persönlichkeiten und hatten unterschiedliche Ziele und Absichten, und dennoch waren sie so stark aneinander gebunden, wie es nur Blut oder das Diktat des Schicksals vermochte.
»Du bist also wieder zurück«, stellte Jerle fest. Er strich sich mit der schwieligen Hand über die lockigen, blonden Haare und lächelte seinen Freund verwegen an. »Bist du endlich zu Verstand gekommen? Wie lange wirst du bleiben?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich werde nicht wieder zurück nach Paranor gehen. Die Dinge haben sich geändert.«
Das Lächeln des anderen verflog. »Ist das wahr? Erzähl mir davon.«
»Alles zu seiner Zeit. Aber laß es mich auf meine Weise tun. Ich bin aus einem bestimmten Grund hier. Bremen hat mich geschickt.«
»Dann ist es in der
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