SHANNICE STARR (German Edition)
vernehmlich und drehte sich auf den Rücken.
Vor ihm ragte eine bedrohliche Gestalt auf, die ihn mit ihren stechenden Augen zu durchbohren schien. Unbeweglich und stumm stand sie da, ihre Konturen verschwommen nachgezeichnet vom diffusen Mondlicht, das durch die Baumkronen hindurch gespenstischen Schein verbreitete.
»Ich kenne dich!«, keuchte Gaines. Stoßweise ging sein Atem. »Du bist der Kerl, der die Schießerei in der alten Bergbausiedlung angezettelt hat! Die ganze Stadt sucht bereits nach dir!«
»Ich bin es«, sagte der Mann mit dunkler Stimme. »Ich bin M’gomba. Und ich will dir nichts tun.«
Lee ›Laramie‹ Gaines gab seinem Erstaunen Ausdruck, indem er die Luft seiner Lungen lautstark ausstieß.
»Mörder!«, sagte er hasserfüllt. »Welche Teufelei hast du dir diesmal ausgedacht? Vergreifst dich an einem alten Mann …!«
»Ich warte«, erwiderte M’gomba leidenschaftslos. »Auch ich jage einen Mörder. Ich habe viele getötet in den letzten Jahren, um die Spur eines Mannes zu verfolgen, der ein unsägliches Verbrechen begangen hat. Er ist in der Nähe, das weiß ich. Der Letzte seiner Bande wurde von mir hingerichtet.« M’gomba deutete mit dem Arm nach links. »Ich nehme an, du weißt, wen ich meine.«
Es gab nur einen, der ebenfalls zurückgezogen von der Zivilisation lebte und die Gesellschaft der Bürger in River Hills mied.
»Benson«, hauchte Gaines. »Du hast Cliff Benson ermordet …« Er schluckte. »Auf wen wartest du dann noch?«
M’gomba machte einen Schritt auf Gaines zu.
»Auf den Anführer«, sagte er. »Er wird kommen. Und ich werde ihn erwarten.«
»Wieso sollte er ausgerechnet hier auftauchen? Er kann überall sein. Vorher aber wird man dich finden und hängen.«
»Ich fühle seine Anwesenheit. Er ist nicht weit. Wenn er in meinen Händen stirbt, habe ich meine Aufgabe erfüllt. Was danach geschieht, ist mir gleich.«
Laramie Gaines rappelte sich auf und klopfte Schneeflocken von seiner Kleidung.
»Warum erzählst du mir diese Geschichte?«, fragte er. Seine Furcht, von dem Schwarzen getötet zu werden, war versiegt.
»Lange habe ich mit niemandem darüber reden können«, antwortete M’gomba. »Du gehörst nicht zu den anderen, und du stellst keine Gefahr dar, sonst wärst du längst tot. Ob du für oder gegen mich bist, ist gleichgültig. Du hast Ohren zu hören. Das reicht mir.«
»Der Sheriff von River Hills ist auf der Jagd nach dir!«, warf Gaines ein. »Vielleicht streift er auch durch die Wälder.«
»Er ist nicht mein Ziel. Doch kommt er mir in die Quere, wird er sterben.« M’gomba hob erneut den Arm, als wollte er Gaines verscheuchen.
»Geh, alter Mann!«, rief er aus. »Sollten sich unsere Wege erneut kreuzen, achte darauf, wessen Fahne du hisst. Aber womöglich schaust du mir auch nur lachend beim Sterben zu. Wir werden sehen. Nach Vollendung meiner Rache gehe ich mit Freuden in den Tod …«
»Die Mormonensiedlung!«, brach es aus Gaines heraus, in dem erneut ein mulmiges Gefühl aufstieg. »Nur dort kann derjenige sein, den du suchst. Sonst gibt es nichts in diesem öden Landstrich.«
»Ich lasse die Nacht verstreichen«, meinte der Schwarze nur, »dann breche ich dorthin auf. Danach in die Stadt. Ich weiß, es geht zu Ende …«
Mit der Gewandtheit eines Raubtiers schlug sich M’gomba ins Unterholz.
Stella Winwood stand am Fenster eines kleinen Mehrbettzimmers und schaute gedankenverloren in den trüben Himmel. An einem schmalen Holztisch saß Shannice Starr und beobachtete das Mormonenmädchen, das die ganze Zeit über schweigsam gewesen war und innerlich den Schock der erfahrenen Gewalt zu verdauen suchte. Die Stille zwischen den Frauen war bedrückend, und schließlich hielt Shannice sie nicht mehr aus.
»Sheriff Heart wird für sein Verhalten geradestehen müssen«, sagte sie sanft.
»Das wird er sicher«, flüsterte Stella, ohne sich umzudrehen und von dem tristen Grau der Landschaft abzuwenden.
»Verletzter Stolz tut manchmal mehr weh als eine körperliche Züchtigung.«
Stellas Hände verkrampften sich. Sie schien mit sich zu ringen und drehte sich ruckartig herum.
»Aber darum geht es doch gar nicht!«, rief sie. Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit. »Den Schmerz halte ich aus. Viel schlimmer ist das, was in unserer Gemeinschaft geschieht. Ich erkenne Denford Castle nicht wieder. Er war stets ein gerechter und friedfertiger Anführer. Aber was er getan hat, steht in krassem Widerspruch zu unserem Glauben.
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