SHANNICE STARR (German Edition)
ihrer Überzeugung in den Fluss zu springen, geschah ein mittleres Wunder. Mit lautem Schaben und Knirschen fuhr das steinerne Tor mehrere Handbreit hoch. Die Cheyenne konnte es kaum glauben, doch die Rettung war nahe.
Vielleicht ein verborgener Mechanismus, der durch die Erdstöße betätigt worden ist, sagte sie sich und setzte sich unverzüglich in die entgegengesetzte Richtung in Bewegung. Hart trat sie den Nattern vor den Kopf, als diese sich drohend aufrichteten. Einmal zog sie den Remington und schoss ein Reptil in zwei Hälften. Da weitere Erschütterungen ausblieben, erreichte Shannice zügig den Spalt, der in den Stollen zurückführte. Diesmal brauchte sie den Mantel nicht auszuziehen, sondern rutschte gelenkig und in einem Rutsch durch die Öffnung.
Erschöpft wollte sie sich aufrichten, da wurde sie von einer eisenharten Klaue im Genick gepackt und gleich einer Puppe hochgezerrt. Eine zweite Pranke wurde in ihren Oberbauch gerammt und presste ihr sämtliche Luft aus der Lunge. Halb erstickt und würgend taumelte sie zurück, als der Griff in ihrem Nacken sie entließ. Shannices Augen quollen beinahe aus den Höhlen. Und ihr Schockzustand steigerte sich noch, als sie vor sich Slaine, den Schlächter, erblickte. Der Schwarzgekleidete stand breitbeinig da, als wäre er ein Henkersknecht aus der Hölle, und schwenkte seinen Säbel.
»Der Wasserlauf hat den Stein ausgehöhlt und die Felsnadeln unter der Kammer brüchig werden lassen«, erklärte Dylan Slaine abwesend. »Mich wundert, dass sie nicht schon früher weggebrochen sind.«
Shannice sog die Luft ein, als ertrinke sie. Kurze Zeit später aber fand sie ihre Sprache wieder.
»Haben Sie das Tor geöffnet?«, fragte sie keuchend.
»Wer sonst?«, erwiderte Slaine, und man konnte vermuten, dass er unter seiner Eisenmaske ein Grinsen zeigte. »Sie sind mir einmal entkommen. Aber ich kenne das Labyrinth wie meine Westentasche. Tatsächlich hatte ich die Befürchtung, Sie wären in die Speergrube gefallen. Jetzt bin ich froh, dass es nicht so ist.«
»Und die Rieseninsekten?«, wollte Shannice wissen und überlegte dabei fieberhaft, ob sie den Kerl nicht irgendwie austricksen konnte. »Wie sind Sie an denen vorbeigekommen?«
Dylan Slaine holte eine Zigarre hervor und riss ein Zündholz an der nackten Felswand an. Das Aufflammen des Schwefelkopfes war eine grelle Lichtexplosion in der Düsternis und riss die obere Gesichtspartie des Mannes aus den Schatten. Furchtbare Narben waren darauf zu erkennen.
»Sie fürchten das Feuer«, raunte der Schlächter. »Und ich kann weit springen …«
Shannice wollte nach ihrem Remington greifen, erinnerte sich, dass sie ihn noch in der Hand gehalten hatte, um eine Natter zu erledigen, und erkannte nun, dass er ihr aus den Fingern geglitten sein musste, als der Schlächter sie brutal gepackt hatte.
Ihr suchender Blick entging Dylan Slaine nicht.
»Ihre Waffe liegt hier«, sagte er gelassen, »gleich vor meinen Füßen. Ich denke aber, Sie werden sie nicht mehr benötigen.«
Shannice ballte die Fäuste und machte sich zum Kampf bereit. Verblüfft sah sie, dass Dylan Slaine den Säbel zu Boden warf.
»Den brauche ich nicht«, meinte er dumpf. »Ich will das Krachen Ihrer Knochen hören, wenn ich sie mit bloßen Händen breche …!«
Bereits kurze Zeit, nachdem die Wirkung der Schmerzmittel, die Doktor Ambrose Stevenson ihm verabreicht hatte, eingesetzt hatte, fühlte sich Rick Montana, als könnte er Bäume ausreißen. Der nagende Hass auf jene Leute, die ihn angeschossen und beinahe getötet hatten, tat ein Übriges, um ihn schmerzunempfindlich zu machen. So konnte der Rinderzüchter auch nicht weiter teilnahmslos im Bett liegen bleiben, sondern fühlte den Drang, die Initiative zu ergreifen. Wesentlich schneller als beim ersten Mal gelang es Montana, sich anzuziehen, den Colt umzuschnallen und ins Nebenzimmer zum Doc zu gehen, bevor dieser ihn wieder abfangen und ihm eine Moralpredigt halten konnte.
»Danke für Ihre Bemühungen«, polterte Rick Montana los und begab sich bereits zur Straßentür. Ambrose Stevenson war in einem Lehnsessel eingenickt und schlug erst die Augen auf, als Montana die Türklinke schon in der Hand hielt.
»Sie sind ein unverbesserlicher Dummkopf«, sagte der Arzt schläfrig. Er rückte seine Brille zurecht und schickte sich an aufzustehen.
»Bemühen Sie sich nicht«, winkte Montana ab. Er holte eine Geldbörse hervor und zählte ein paar Dollarnoten ab. »Ihre
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