SHANNICE STARR (German Edition)
geritten, bald aber langsamer geworden und erreichten kurz darauf ihr Ziel. Sie passierten ein großes Tor der festungsähnlichen Siedlung und wurden bereits wenige Minuten darauf von dem Mormonenführer Denford Castle in Empfang genommen.
»Wen hast du uns mitgebracht, Stella?«, fragte der hochgewachsene Mormone.
»Eine Gefangene von Sheriff Heart«, sagte die junge Frau wahrheitsgemäß. »Ich habe gute Gründe anzunehmen, dass sie zu Unrecht eingesperrt worden ist.«
»Über diese Gründe kannst du mich bei Gelegenheit noch genauestens unterrichten.« Castle setzte ein mildes Lächeln auf. Er sah Shannice an. »Wie denken Sie über die Angelegenheit? Wurden Sie zu Unrecht festgehalten?«
Die Halbindianerin überlegte nicht lange.
»Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort«, meinte sie lapidar.
»Das reicht mir vorerst«, gab sich Denford Castle zufrieden. »Die Verfolgten und Vertriebenen werden in unserer Mitte immer einen Platz finden.«
Shannice Starr verzog den Mund, als kaute sie auf etwas herum. Sie konnte nicht sagen, warum, aber da war etwas, das sie an Castle störte.
»Wir haben eine bescheidene aber warme Unterkunft für Sie«, fuhr der Mormonenführer fort. »Um Nahrung brauchen Sie sich ebenfalls nicht zu sorgen. Seien Sie unser Gast, so lange es Ihnen beliebt.« An Stella gewandt sprach er weiter: »Führe die junge Dame bitte in ihr Quartier. Du weißt schon, das Zimmer im Nordflügel.«
»Sicher. Gern.« Ein Strahlen legte sich auf Stella Winwoods Gesicht. Sie forderte Shannice auf, ihr zu folgen.
Sie überquerten den Innenhof und betraten den Nordflügel. Nur wenige Menschen hielten sich in dem langen Gang auf, grüßten verhalten oder murmelten Gebete vor sich hin.
»Warum hast du mir geholfen?«, fragte Shannice spontan. »Du kennst mich nicht. Vielleicht stehe ich wirklich mit dem Mörder im Bunde.«
Stella Winwood sah Shannice kurz an, drehte den Kopf weg und sah zu Boden. »Ich habe gefühlt, dass ich das Richtige tue. Ich kann es nicht erklären.«
Ein eigentümlicher Schauer erfasste Shannice, als sie erahnte, was die junge Mormonin ihr nicht sagen konnte – oder nicht sagen wollte .
Am Ende des Korridors wies Stella Winwood auf eine Tür.
»Deine Kammer«, sagte sie einladend. »Fühle dich ganz wie zu Hause.«
Shannice schmunzelte unwillkürlich. »Ich hatte schon lange kein Zuhause mehr. Aber ich werde mich bemühen.«
Stellas Blick haftete an Shannices Rücken, das spürte die Cheyenne deutlich. Das Gefühl legte sich erst, als Shannice die Tür hinter sich schloss. Sie legte den schweren Mantel ab und entkleidete sich. Auf einem Bettgestell lag eine Matratze, darauf eine warme Decke. Rasch kuschelte Shannice sich darin ein und war alsbald eingeschlafen.
Tumultartiger Aufruhr schreckte die Cheyenne aus dem Schlaf. Instinktiv griff sie nach ihrem Remington, den sie bei ihrer Flucht aus dem Office des Sheriffs rasch eingesteckt hatte. Nackt tappte sie zur Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Durch ein schmales Korridorfenster erhaschte sie einen Blick in den Innenhof. Genaues konnte sie nicht erkennen, doch waren eine Menge Menschen zusammengelaufen. Es war eine unbewusste Ahnung, die Shannice glauben ließ, der Auflauf müsse in irgendeiner Weise mit ihr zu tun haben. Zügig zog sie sich Jeans und Hemd über, steckte den Remington ins Hosenbund und verließ barfuß das Zimmer. Sie lehnte sich an das Fenster und blickte in den Hof. Nahezu zwanzig Mormonen befanden sich dort. Einige rannten aufgescheucht umher, die meisten jedoch standen starr da. Der Grund für ihre Aufregung war nicht zu ergründen.
Viel zu lange stand Shannice untätig am Fenster, bis sie schwere Stiefeltritte vom Ende des Korridors hörte. Und eine dunkle Männerstimme.
»Habe ich dich gefunden, Mörderin.«
Mehr als der Ausruf des Fremden erschreckte Shannice der Umstand, dass Stella mit wehendem Kleid den Flur entlanggerannt kam.
»Wir konnten nichts tun!«, schrie sie. »Er klopfte als Hilfesuchender an unser Tor. Doch kurz darauf zeigte er seine wahren Absichten. Er sucht dich! Er will dich töten, Shannice!«
»Bleib stehen!«, befahl die Cheyenne scharf. »Das geht nur ihn und mich etwas an. Wenn du leben willst, Stella, dann verschwinde schleunigst.«
Die Mormonin stoppte mitten im Lauf.
»Ich will nicht, dass dir etwas zustößt«, sagte sie heiser.
»Geh!«, schnitt Shannices Stimme durch den Gang. Den Revolver hielt sie gesenkt und beobachtete den Fremden, der
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