Shantaram
ist nicht die Wurzel allen Übels. Das Übel ist die Wurzel alles Geldes. Sauberes Geld gibt es nämlich nicht: Alles Geld auf dieser Welt ist in irgendeiner Weise schmutzig, denn es lässt sich nicht sauber verdienen. Sobald du dich mit Geld bezahlen lässt, leidet irgendwo jemand. Das ist, glaube ich, einer der Gründe, warum alle – selbst Leute, die sonst niemals gegen das Gesetz verstoßen würden – ihr Geld auf dem Schwarzmarkt gerne ein bisschen vermehren.«
»Du lebst davon«, sagte ich, gespannt auf seine Reaktion.
»Ja und?«
»Wie fühlst du dich dabei?«
»Ich fühle mich gar nicht. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Die Wahrheit liegt im Leid. Nicht zu leiden ist die Lüge. Das habe ich dir ja schon gesagt. So ist das Leben nun mal.«
»Aber mit manchem Geld ist doch bestimmt mehr Leid verbunden«, beharrte ich, »und mit anderem weniger.«
»Es gibt nur zwei Arten von Geld, Lin – deins und meins.«
»Oder, in diesem Fall, Khaders Geld.«
Khaled lachte. Es war ein kurzes, trauriges Lachen, das einzige, zu dem er noch imstande war.
»Wir verdienen zwar Geld für Abdel Khader, aber ein Teil davon gehört uns. Und nur wegen dieses kleinen Teils, der uns gehört, bleiben wir bei der Stange, oder etwa nicht? Okay, fangen wir an. Warum gibt es überhaupt Devisenschwarzmärkte?«
»Ich weiß nicht, wie du das meinst.«
»Dann stelle ich die Frage eben anders.« Khaled lächelte. Die breite Narbe, die unterhalb seines linken Ohrs begann und sich bis zu seinem Mundwinkel quer übers Gesicht zog, sorgte allerdings dafür, dass sein Lächeln schief und eher beunruhigend wirkte. Die vernarbte Gesichtshälfte blieb nämlich starr, wenn er lächelte, sodass sie immer gequält oder bedrohlich aussah, auch wenn er sich bemühte, besonders freundlich zu sein. »Wie kommt es, dass wir einem Touristen einen amerikanischen Dollar für, sagen wir, achtzehn Rupien abkaufen können, obwohl die Banken nur fünfzehn oder sechzehn bieten?«
»Vielleicht weil wir ihn für mehr als achtzehn Rupien weiterverkaufen können?«, schlug ich vor.
»Gut. Gut. Und warum können wir das tun?«
»Weil … Weil es Leute gibt, die ihn zu unserem Preis kaufen wollen, nehme ich mal an.«
»Genau. Aber an wen verkaufen wir?«
»Hör zu, ich habe immer nur Touristen mit Schwarzmarkthändlern zusammengebracht und meinen Anteil kassiert. Ich habe keine Ahnung, was danach mit den Dollars passiert. Damit habe ich mich nie beschäftigt.«
»Schwarzmärkte für Waren gibt es deshalb«, sagte er so langsam und bedeutungsvoll, als offenbare er mir ein persönliches Geheimnis und nicht etwa ein marktwirtschaftliches Gesetz, »weil die legalen Märkte zu strikt sind. In unserem Fall, also immer dann, wenn es um Devisen geht, werden die legalen Märkte von der indischen Regierung und der indischen Zentralbank kontrolliert, und das viel zu streng. Weil es – wie immer übrigens – um Habgier und Kontrolle geht. Aus diesen beiden Motiven heraus entsteht Wirtschaftskriminalität; eines von beiden allein reicht nicht aus. Habgier ohne Kontrolle oder Kontrolle ohne Habgier bringen keinen Schwarzmarkt hervor. Wenn wir Profit aus – sagen wir: Backwaren – schlagen wollen, brauchen wir zuallererst eine Instanz, die die Produktion von Backwaren strikt reguliert. Erst dann entsteht ein Schwarzmarkt für Apfelstrudel. Andererseits hat die Regierung die Abwasserentsorgung aber so streng reguliert, dass man meinen könnte, aus dem Abwasser ließe sich Profit schlagen. Aber einen Schwarzmarkt für Scheiße gibt es eben nicht. Erst wenn Habgier und Kontrolle zusammenkommen, entsteht ein Schwarzmarkt.«
»Wow, du hast dir ja richtig Gedanken gemacht«, bemerkte ich lachend, doch im Grunde war ich beeindruckt und erfreut darüber, dass er mir die Ontologie der Devisenkriminalität und nicht nur deren praktische Umsetzung vermitteln wollte.
»Ach was«, sagte er bescheiden.
»Doch, ganz im Ernst. Als Khaderbhai mich zu dir geschickt hat, dachte ich, du würdest mir ein paar Tabellen in die Hand drücken – die aktuellen Wechselkurse und all dieses Zeug – und mich dann gleich an die Arbeit schicken.«
»Oh, zu den Wechselkursen kommen wir schon noch«, sagte er lächelnd, und diese unbeschwert-beiläufige Bemerkung klang sehr amerikanisch. Ich wusste, dass Khaled als junger Mann in New York studiert hatte. Khaderbhai hatte mir erzählt, dass er dort eine Weile lang sogar sehr glücklich gewesen sei. Ein Quäntchen von diesem Glück
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