Shardik
im nächtlichen Dunkel durch das wäßrig seichte Gras an ihr vorbeigeschritten war, und an Anthred, deren Hände mit geflochtenen Ringen, die sie selbst am Strand verbrannt hatte, geschmückt waren und die ihr unter den Bäumen zugelächelt hatte. Diese Zeichen waren klar genug. Die Situation war eigentlich einfach. Erforderlich war nur eine Priesterin, die ihre Pflicht kannte und fähig war, sie entschlossen zu erfüllen.
Sie näherte sich wieder den Mädchen. Die zogen sich vor ihr zurück und starrten stumm ins Dunkel.
»Ihr sagt, daß Shardik, unser Herr, in der Nähe ist. Wo?«
Eines der Mädchen zeigte in die Richtung. »Geh hin und vergewissere dich, ob er noch schläft«, sagte Rantzay. »Ihr hättet ihn nicht unbeobachtet lassen dürfen. Ihr alle verdient Tadel.«
»Mutter Oberin – «
»Schweig!« sagte Rantzay. »Nito, bring mir die Schachtel mit Theltocarna.«
Sie zog ihr Messer und probierte es aus. Die scharfe Klinge durchschnitt glatt ein zwischen Zeigefinger und Daumen gehaltenes Blatt, und bei dem leisesten Druck durchbohrte die Spitze beinahe die Haut an ihrem Handgelenk. Nito stand mit der Holzschachtel vor ihr. Rantzay starrte unbewegt auf die zitternden Finger des Mädchens und dann auf das reglos in ihrer eigenen, ruhigen Hand gehaltene Messer.
»Komm mit mir. Du auch, Sheldra.« Sie griff nach der Schachtel.
Sie gedachte des letzten Mals, da sie und Anthred im Hof des Oberen Tempels durchs Feuer geschritten waren; das war in der Nacht, als sie Kelderek zur Brücke der Bittsteller geführt hatten. Der Erinnerung haftete etwas Unwirkliches an, als wäre es nicht die ihre, sondern die einer anderen. Die Nachtgeräusche um sie schienen ihr verstärkt. Der trockene Wald fand ein Echo in Höhlen voll tropfenden Wassers, und ihr Körper kam ihr vor wie eine heiße. Sandmasse. Das waren Symptome, die sie wiedererkannte. Sie mußte schnell handeln. Ihre Angst war irgendwo hinter ihr, suchte sie, kam ihr zwischen den Bäumen nach.
Der Bär lag auf der Seite in einem Gebüsch von Cenchuladaschößlingen, zwei hatte er niedergedrückt und abgebrochen, um sich eine Schlafstelle zu schaffen. Ein paar Meter entfernt lag eines der Fleischstücke. Wer immer sie hingelegt hatte, mußte einigen Mut gehabt haben. Die gewaltige Körpermasse des Bären war vom Mondschein und vom Blätterschatten gesprenkelt. Die zottige, im Schlaf sich hebende und senkende Flanke erschien in dem scheckigen, unsteten Licht wie eine dunkle Grasfläche. Vor dem halb geöffneten, atmenden Maul bewegten sich glitzernd die Blätter an einem der abgebrochenen Äste. Die Klauen einer ausgestreckten Vordertatze waren aufwärts gebogen. Rantzay blieb eine Zeitlang stehen, als starrte sie auf einen tiefen, reißenden Fluß, in den sie nun springen und ertrinken müßte. Dann winkte sie den Mädchen fortzugehen und trat vor.
Sie stand vor Shardiks Rücken und blickte über seinen Leib hinweg wie hinter einem Erdwall auf den unruhigen, vom Wind bewegten Wald. Der Donner rollte durch die Hügel, und Shardik regte sich, zuckte mit einem Ohr und lag dann wieder still.
Rantzay schob ihre linke Hand tief in den Pelz. Sie konnte die Haut nicht bloßlegen und begann, das fettige, verfilzte und wie ein Schaffell von Parasiten wimmelnde Haar fortzuschneiden. Nun zitterten ihre Hände, und sie arbeitete schneller, hob sorgfältig jedes Büschel hoch, schnitt es ab und zog es dann unter dem scharfen Messer hervor.
Bald hatte sie einen großen, borstigen Heck an der Schulter zurechtgeschnitten und die graue, salzbefleckte Haut beinahe freigelegt. Zwei oder drei Venen liefen darüber, von denen eine so dick war, daß man den langsamen Pulsschlag wahrnahm.
Rantzay wandte sich um und bückte sich nach der Schachtel an ihrer Seite. Sie nahm zwei von den kleinen öligen Blasen heraus und faßte sie mit den Fingerspitzen ihrer linken Hand. Dann stieß sie die Messerspitze in die Schulter des Bären und machte mit der Klinge einen Schnitt, der halb so lang war wie ihr Unterarm. Sofort und ohne zu zögern schob sie die Blasen in die Wunde, zog deren Ränder darüber, drückte darauf und spürte, wie sie innen zerbarsten.
Shardik warf knurrend den Kopf zurück und erhob sich auf seine Hintertatzen. Rantzay wurde zu Boden geschleudert, richtete sich auf und stand ihm gegenüber. Einen Augenblick schien es, als wolle er sie niederschlagen. Dann schwankte er vorwärts und drückte sie an seinen Leib. Er trug sie einige Schritte weit, sie hing wunderlich
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