Sharon: die Frau, die zweimal starb
sich auf die Lippe, sagte: »Ganz am Südende des Besitzes war ein Schwimmbecken. Groß, rechteckig, blaue Kacheln, auf den Boden waren Seepferdchen gemalt. Mammi und Daddy hatten sich nie so richtig entschließen können, ob sie ihr Schwimmbecken drinnen oder draußen haben wollten, also hatten sie einen Kompromiss geschlossen und ein Haus darübergebaut - weißes Lattenwerk mit einem zurückziehbaren Dach und Brennefeu, der durch die Latten wuchs. Wir benutzten es viel im Sommer, wurden ganz salzig im Ozean und spülten es dann mit frischem Wasser ab. Daddy brachte uns bei, wie man schwimmt, als wir zwei waren, und wir lernten es schnell - wie die kleinen Kaulquappen, so sagte er immer.«
Sie machte wieder eine Pause, um Luft zu holen. Ein langes Schweigen folgte, und ich begann mich zu fragen, ob sie alles erzählt hatte. Als sie weitersprach, war ihre Stimme schwächer.
»Als der Sommer vorbei war, kümmerte sich keiner mehr so recht um das Schwimmbecken. Die Hausmeister machten es nicht immer richtig sauber, und das Wasser wurde ganz grün und fing zu stinken an. Shirl und mir war es verboten hinzugehen, aber das machte es nur noch reizvoller. Sobald wir frei waren, rannten wir sofort hin, guckten durch die Lattenwand, sahen all das glibbrige Zeug im Wasser und stellten uns vor, es wäre eine Lagune voll Ungeheuern. Hässlichen Ungeheuern, die jeden Augenblick aus dem Schlamm kommen und uns angreifen konnten. Wir stellten fest, dass der Geruch davon kam, dass Ungeheuer ihre Ausscheidungen in das Wasser abließen - Ungeheuerwürste.« Sie lächelte, schüttelte den Kopf. »Schön widerlich, was? Aber genau die Art Fantasie, denen Kinder sich hingeben, um ihre Ängste zu meistern, stimmt’s?«
Ich nickte.
»Das einzige Problem war, Alex, dass unsere Ungeheuer herauskamen.«
Sie wischte sich die Augen, steckte den Kopf aus dem Fenster und atmete tief durch.
»Tut mir leid«, sagte sie.
»Ist okay.«
»Nein, ist es nicht. Ich hatte mir vorgenommen, mich zusammenzureißen.« Wieder tiefes Atmen. »Es war ein kalter Tag. Ein grauer Samstag. Herbstende. Wir waren drei Jahre alt, trugen die gleichen Wollkleider mit dicken Strickstrümpfen und funkelnagelneue Lackschuhe, die wir unbedingt anziehen wollten. Dafür versprachen wir unserer Mami, dass wir sie nicht im Sand zerkratzen würden. Es war unser letztes Wochenende auf der Insel bis zum Frühling. Wir waren länger dort geblieben als vorgesehen - die Heizung des Hauses war unzureichend, und nachts kam die klamme Kälte vom Ozean herauf, diese Art Ostküsten-Eiseskälte, die einem bis in die Knochen fährt und nicht wieder hinausgeht. Der Himmel war so voll Regenwolken, dass er fast schwarz aussah - er roch wie ein alter Penny, so wie der Himmel am Meer immer vor einem Sturm riecht.
Unser Chauffeur war in den Ort gefahren, um vor der Fahrt zurück nach Manhattan den Wagen vollzutanken und den Motor einstellen zu lassen. Die übrigen Helfer waren fleißig damit beschäftigt, das Haus für den Winter zu verschließen. Mami und Daddy saßen im Sonnenzimmer, in Schals eingewickelt, nahmen einen letzten Martini zu sich. Shirl und ich waren losgerannt, von einem Zimmer zum anderen, und amüsierten uns damit, auszupacken, was eingepackt war, loszubinden und aufzumachen, was man zugebunden und zugemacht hatte, wir kicherten und alberten herum und probierten unsere Macht aus. Unsere Lust aufs Unsinnmachen war besonders groß, weil wir wussten, dass wir so bald nicht wiederkommen würden, und deshalb wollten wir an diesem Tag bis zum letzten Augenblick herumtoben. Schließlich hatten die Helfer und Mami genug von uns. Sie packten uns in dicke Mäntel ein und zogen uns Galoschen über unsere neuen Schuhe und schickten uns mit einer Nanny an den Strand zum Muschelsuchen.
Wir rannten hinunter ans Meer, aber es war Flut. Das Wasser hatte alle Muscheln weggespült, und der Tang war zu kalt zum Spielen. Als die Nanny anfing, mit einem der Gärtner herumzuflirten, schlichen wir uns weg, geradewegs zum Badehaus.
Das Tor war geschlossen, aber nicht verriegelt - das Schloss lag am Boden. Einer der Hausmeister hatte angefangen, das Becken zu leeren und zu säubern - überall lagen Bürsten und Netze, Chemikalien und Algenklumpen herum -, aber er war nicht da. Er hatte abzuschließen vergessen. Wir schlichen uns hinein. Es war dunkel darin - nur Quadrate schwarzen Himmels sahen oben zwischen den Latten durch. Das schmutzige Wasser wurde mit einem Schlauch aus dem Becken
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