Sharpes Flucht
auf der anderen Seite des breiten Tals auf dem Kamm des Hügels standen. »Was hat er eigentlich gemacht, als er verschwunden ist?«
»Nach Terpentin gesucht, glaube ich. Und eine englische Frau begleitet.«
»Aha«, sagte Hogan, noch immer vage, dann richtete er sich erneut von dem Fernglas auf. »Eine Frau, was? Das klingt nach Mister Sharpe, oder etwa nicht? Gut für ihn. Und das war in Coimbra, ja?«
»In Coimbra, ja«, bestätigte Lawford, dann fügte er entrüstet hinzu: »Er ist einfach nicht wieder aufgetaucht.«
»Dort ist noch ein weiterer Mann verschwunden«, sagte Hogan, der an der Kante der Bastion stand und durch den Regen auf die nördlichen Hügel blickte. »Ein portugiesischer Major, äußerst wichtiger Mann. Er tut für die Portugiesen, was ich für den Peer tue. Es wäre eine ziemlich üble Sache, wenn er den Franzosen in die Hände fiele.«
Lawford war kein Dummkopf und wusste, dass Hogan nicht nur belanglose Konversation machte. »Glauben Sie, die beiden Fälle hängen zusammen?«
»Ich weiß, dass sie zusammenhängen«, sagte Hogan. »Sharpe und dieser Mann hatten, was man eine Meinungsverschiedenheit nennen könnte.«
»Sharpe hat mir nie etwas davon gesagt«, bemerkte Lawford pikiert.
»Vom Mehl? Auf einem Hügel?«
»Ach so – doch, das hat er mir erzählt. Allerdings keine Einzelheiten.«
»Richard hält sich bei seinen vorgesetzten Offizieren ja nie mit Einzelheiten auf«, sagte Hogan, dann machte er eine Pause, um eine Prise Schnupftabak zu nehmen. Er nieste. »Er erzählt es uns nicht«, fuhr er fort, »um uns nicht zu verwirren. Aber er ist irgendwie damit fertiggeworden und hat sich dafür gründlich verprügeln lassen.«
»Verprügeln?«
»In der Nacht vor der Schlacht.«
»Er hat gesagt, er ist ausgerutscht.«
»Nun ja, was soll er auch sonst sagen?« Hogan war nicht überrascht. »Also ja, zwischen den beiden gab es eine Verbindung, doch ob es die noch immer gibt, ist zweifelhaft. Sehr zweifelhaft, aber immerhin nicht auszuschließen. Ich habe großes Vertrauen zu Sharpe.«
»Das habe ich auch«, sagte Lawford.
»Natürlich haben Sie das«, sagte Hogan, der mehr über das South Essex Regiment wusste, als Lawford sich je hätte träumen lassen. »Wenn Sharpe also auftaucht, Lawford, dann schicken Sie ihn zum Hauptquartier des Peers, würden Sie das tun? Sagen Sie ihm, wir brauchen Informationen über Major Ferreira.« Hogan bezweifelte, dass Wellington auch nur eine Sekunde an Sharpe verschwenden wollte, aber Hogan wollte das, und es konnte nicht schaden, wenn Lawford glaubte, dass der General diesen Wunsch teilte.
»Natürlich werde ich das tun«, versprach Lawford.
»Wir sind in Pero Negro«, sagte Hogan, »einen Zwei-Stunden-Ritt weiter westlich. Und natürlich schicken wir ihn zurück, so schnell wir können. Ich kann mir vorstellen, dass Sie darauf brennen, Sharpe in seine eigentlichen Pflichten wieder einzusetzen.« Eine gewisse Betonung lag auf dem Wort »eigentlich«, die Lawford nicht entging. Er vernahm einen milden Tadel, und der Colonel fragte sich, ob er erklären sollte, was zwischen Slingsby und Sharpe vorgefallen war, als Hogan plötzlich einen Schrei ausstieß und sein Auge auf das Glas presste. »Unsere Freunde sind da«, sagte er.
Einen Augenblick lang dachte Lawford, Hogan müsse meinen, dass Sharpe aufgetaucht sei, dann aber sah er auf dem entlegenen Hügel Pferde und wusste, dass es die Franzosen waren. Die ersten Patrouillen hatten die Linien erreicht, und das bedeutete, dass Massénas Armee nicht mehr weit sein konnte.
Die Linien von Torres Vedras, die ohne Wissen der britischen Regierung errichtet worden waren, hatten zweihunderttausend Pfund gekostet. Sie waren die größten, teuersten Verteidigungsanlagen, die in Europa je gebaut worden waren.
Und jetzt würden sie auf die Probe gestellt werden.
Es waren Dragoner, die unvermeidlichen, grünberockten Dragoner, die am Fuß der aufragenden Berge am Westufer des Tajo den Fluss entlangritten. Es waren mindestens dreißig, und sie waren lediglich auf der Suche nach Essbarem, denn ein Mann hatte zwei kleine Kühe an sein Pferd gebunden. Aber jetzt, an diesem regnerischen Nachmittag, sahen sie das kleine Boot mit den drei Männern und zwei Frauen, und die Chance, sich zu vergnügen, war für die Dragoner zu schön, um sie sich entgehen zu lassen. Sie begannen zu rufen, das Boot solle zu ihnen ans Ufer gebracht werden, aber sie erwarteten nicht, dass ihre Worte gehört, geschweige denn befolgt
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